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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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abrupt beendet. Die Versicherung zahlte ihm zwei Jahre einen monatlichen Betrag in Höhe seines vorherigen Einkommens. Während jener Zeit versuchte er verzweifelt, einen Job im Radsport zu bekommen, allerdings ohne Erfolg. Er war noch nicht lange genug im Geschäft und hatte noch keine Seilschaften aufgebaut. So stand er da mit seinen dreiundzwanzig Jahren und konnte nichts außer Radfahren.
    Außerdem setzte ihm Danielle zu. Mit einem Schlag war die Welt, die sie sich erträumt hatte, zusammengebrochen. Aus Distanz wurde im Laufe der Zeit, in der Christian keine ihr angemessen erscheinende Tätigkeit fand, blanker Hass. Einen Hass, den sie auch die gemeinsame Tochter lehrte.
    Damals begann Christian seine Laufbahn in der Gastronomie – eine Karriere, die sich für ihn ausschließlich im Kreis drehte. Sein Einkommen reichte kaum aus, die Alltagsbedürfnisse zu decken, und Danielle musste ebenfalls arbeiten gehen. Zum Glück war die Wohnung weitgehend abbezahlt. Christian schuftete zwölf Stunden am Tag und kehrte zurück zu zwei Frauen, die keinen Hehl daraus machten, was für ein Versager er war.
    Es dauerte acht Jahre, bis ihn Danielle schließlich hinauswarf. Christian, dessen Kampfgeist in der Zeit seit seinem Unfall auf der Strecke geblieben war, akzeptierte die Scheidung, in der Danielle die Wohnung zugesprochen wurde, ohne Widerrede. Er zog in ein kleines Apartment und fügte sich in sein Schicksal.
    Ein neuer Gast riss ihn aus seinen Gedanken. Er stellte das Glas, das er bereits fünf Mal poliert hatte, ins Regal und zwang sich zurück in die Wirklichkeit.
    Er hatte die Frau hier schon mehrfach gesehen. Sie war mit Professor Vau gekommen, und die beiden hatten sich lange unterhalten. Und sie war auch mit Enrique hier gewesen. Sie war einfach, aber geschmackvoll gekleidet, im Gegensatz zu vielen anderen jungen Frauen, die zu kurze Shirts trugen, unter denen irgendwelche Bauchnabelpiercings oder Tätowierungen sichtbar waren.
    Christian musste an seine Tochter denken. Seit ihrem zehnten Lebensjahr hatte er sie kaum mehr gesehen. Ob sie wohl auch Muster in ihre Haut hatte zeichnen lassen? Möglich wäre es, denn Danielle war immer viel zu tolerant mit ihr gewesen und selbst den Exzessen der Moderne verfallen. Alles, was neu und angesagt war, war gut und musste unbedingt ausprobiert werden, ob es nun Kleidung, ein neues Nahrungsmittel oder eine andere Modewelle war, die gerade über das Land schwappte.
    Diese junge Frau war anders, das hatte er sofort erkannt. Sie musste es auch sein, sonst hätte sich Professor Vau nicht mit ihr unterhalten. Christian hielt große Stücke auf Professor Vau, den er seit vielen Jahren kannte. Wenn doch nur alle Menschen so wären, die Welt wäre ein besserer Ort.
    Die Frau setzte sich an einen Ecktisch. Christian fragte sich, was sie alleine hier machte. Professor Vau war schon seit über einer Woche nicht mehr da gewesen. Bei seinem letzten Frühstück hatte er etwas von einer Reise ins Ausland gemurmelt. Christian vermisste seinen Stammgast, denn wie jener liebte er die Regelmäßigkeit. Er konnte sich nicht entsinnen, dass Professor Vau in den letzten Jahren jemals mehr als einen Tag nicht da gewesen wäre. Und wie jeden Morgen zog Christian auch jetzt bei Schichtbeginn eine Zeitung aus dem Stapel und legte sie für den Professor beiseite.
    Er ging zum Tisch, um die Bestellung aufzunehmen. Die junge Frau war nervös. Ihre Finger spielten mit der Speisekarte, und ihre Augen hatten einen gehetzten Blick.
    Â»Guten Tag«, sagte Christian und lächelte freundlich.
    Â»Guten Tag«, nickte die Frau. »Sie sind Christian, nicht wahr? Sie kennen doch Viktor Vau?«
    Â»Professor Vau? Selbstverständlich.«
    Â»Haben Sie ihn heute schon gesehen?«
    Â»Nein, tut mir leid. Soviel ich weiß, hält sich Professor Vau derzeit im Ausland auf.«
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Er ist wieder in der Stadt. Dann wird er wohl noch kommen.«
    Sie bestellte einen Kaffee. Christian ging zurück hinter die Theke. Das war sehr merkwürdig. Warum war die Frau so nervös? Immer wieder spähte sie an den großen Pflanzen vor ihrem Tisch vorbei auf die Straße. Es machte fast den Eindruck, als täte sie etwas Verbotenes, indem sie hier auf Professor Vau wartete. Und woher wusste sie, dass Professor Vau wieder zurück war? Korrespondierte er mit ihr und hielt sie über seine

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