Das Wörterbuch des Viktor Vau
bereits der AuÃenhandelsminister, ein kleiner, nervöser Mann in einem schlecht sitzenden Anzug.
»Was macht das Embargo?«, fragte Winter.
»Keine Veränderung.« Der Minister deutete auf einen übergroÃen Aktenkoffer, der neben ihm stand. »Das sind die Protokolle unseres letzten Treffens mit den Bevollmächtigten der Dynastie. Es läuft immer wieder auf dasselbe hinaus: Sie wollen die Schürfrechte, oder es bleibt beim Importstopp.«
»Lange können sie das nicht durchhalten«, sagte Winter. »Sie brauchen unsere Rohstoffe.«
»Aber wir brauchen ihr Geld. Fragen Sie mal den Schatzkanzler, wie es in der Staatskasse aussieht!«
Winter zuckte mit den Schultern. »Das ist zum Glück nicht mein Verantwortungsbereich.«
»Nein, Sie geben das Geld nur aus«, sagte der Minister verdrieÃlich. »Und wir dürfen dann wieder sehen, woher wir neues bekommen.«
»Sie machen das schon, mein Lieber.« Winter lieà den Minister stehen und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
»Da habe ich doch tatsächlich mein Lieber gesagt«, dachte er. »Ich muss aufpassen, dass ich Fitzsimmons nicht zu ähnlich werde.«
di:
Rückkehr
1.
Hauptstadt der Union
Christian Sonntag summte die Melodie eines populären Schlagers vor sich hin, während er die Weingläser abtrocknete und in das Regal hinter der Theke räumte. Der Mittagsansturm war vorbei. Die Stunden zwischen Mittag und frühem Abend waren üblicherweise die ruhigsten am Tage. Die beiden zusätzlichen Kellner, die jeden Tag von elf bis fünfzehn Uhr kamen, waren bereits wieder gegangen. AuÃer Christian waren nur noch der Barista und eine der Küchengehilfinnen anwesend.
Christian liebte diese Nachmittagsstunden. Sie gaben ihm die Gelegenheit, das Inventar wieder auf Vordermann zu bringen und ein wenig in der Tageszeitung zu lesen. Trotz des schönen Herbstwetters waren die Tische vor der Tür nur spärlich besetzt. Es reichte aus, alle paar Minuten mal einen Blick in die Runde zu werfen, um zu sehen, ob irgendwer zahlen oder eine neue Bestellung aufgeben wollte.
Christians Gedanken kehrten in solchen Situationen unweigerlich zurück zu der Frage, wie es dazu gekommen war, dass er seine Existenz als Kellner fristete. Dabei hatte sein Leben so ganz anders und ausgesprochen vielversprechend begonnen. In der Schule hatte er sich weniger durch seine geistige Beweglichkeit, sondern mehr durch seine sportlichen Fähigkeiten ausgezeichnet. Es war besonders das Radfahren, bei dem er glänzte. Diese Begabung hatte ihn, trotz seiner ansonsten mäÃigen Leistungen, auch durch die Schulzeit gebracht.
Mit siebzehn Jahren war er zum ersten Mal bei der Tour dâ Union mitgefahren, als unbekannter Steigbügelhalter eines unbekannten Teams â aber es reichte für den Lebensunterhalt. Von Jahr zu Jahr verbesserte er sich, wechselte das Team, verdiente mehr und war mit zwanzig Jahren bereits kurz davor, den Durchbruch zu schaffen. Zu jener Zeit lernte er Danielle kennen. Sie kam aus einem kleinen Kaff in der Nähe von Christians Geburtsort, wo sie in einem Aluminiumwerk arbeitete, dem gröÃten Arbeitgeber vor Ort. Für sie war die Hochzeit der Weg heraus aus der eintönigen Existenz als Sekretärin in der Provinz.
Kurz nach der Heirat gab sie ihren Job auf und sie zogen in die Hauptstadt. Christian, der inzwischen gut verdiente, kaufte eine Eigentumswohnung, und Danielle wurde schwanger. Sie nannten ihre Tochter Muriel, und das Leben sah gut aus.
Dann ereignete sich das Unglück. Christian konnte es heute noch so klar vor seinem inneren Auge sehen wie damals. Es geschah während der dritten Etappe der Tour. Das Verfolgerfeld, zu dem er gehörte, schlängelte sich durch eine enge DorfstraÃe am Fuà eines Hügels, den die Fahrer soeben herabgekommen waren. Entsprechend hoch war ihre Geschwindigkeit. Aus der Reihe der Zuschauer, die an die grob verputzten Wände der Häuser gedrückt standen, löste sich ein vielleicht zehnjähriger Junge und lief auf die StraÃe, genau vor Christians Rad. Er wich aus und kollidierte mit seinem Nebenmann. Beide stürzten auf den Asphalt und schlitterten noch einige Meter weiter, bevor drei der nachfolgenden Fahrer in den Haufen aus Metall, Gummi und Körpern rasten.
Christian wurde mit mehrfachen Becken- und Beinbrüchen aus dem Gewühl gezogen. Seine Radlerkarriere war damit
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