Das Wörterbuch des Viktor Vau
stammen, denn bislang gibt es nur ein einziges Wörterbuch davon. Und das befindet sich in meiner Tasche.«
Viktor fuhr mit seiner Erzählung fort. Als er zu der Videobotschaft kam, wurde er erneut von Enrique unterbrochen.
»Und Sie konnten den Mann nicht verstehen? Obwohl es die Sprache war, die Sie entwickelt haben?«
»Ich habe lediglich einzelne Worte verstanden.« Viktor fuhr sich durchs Haar. »Eine gesprochene Sprache ist wie ein lebendiges Wesen, sie verändert sich und passt sich an. Wenn also in der fernen Zukunft wirklich eine Sprache gesprochen werden sollte, die auf meinen Entwicklungen basiert â und alles deutet darauf hin, so unwahrscheinlich es auch klingt â, dann wäre sie für mich so fremd wie irgendein afrikanischer Dialekt.«
»Und welches waren die Worte, die Sie verstanden haben?«, fragte Thura.
Er blickte sie an. »Sinnlose Wortfetzen«, winkte er schlieÃlich ab und fuhr mit seiner Erzählung fort, bevor jemand eine weitere Frage stellen konnte.
»Ich war mir von Anfang an nicht klar, wie ich Jonathan einschätzen sollte. Bei all seiner scheinbaren Freundlichkeit hatte er etwas Bedrohliches an sich. Aber Leslie schien ihm zu vertrauen, und vielleicht, so sagte ich mir, werden meine Bedenken auch durch die Atmosphäre des Arizona Market geschürt, die mir hochexplosiv vorkam.«
Diese Einschätzung, berichtete Viktor weiter, hatte sich kurz darauf bestätigt. Während des Essens war eine SchieÃerei ausgebrochen, und der Wirt, seine Helfer, die Menschen auf dem Weg und auch Jonathan warfen sich sofort zu Boden. Viktor wurde von Leslie unsanft gepackt und unter die Bank gezogen.
Jonathans Leibwächter duckten sich und schossen auf einen unsichtbaren Gegner. Viktor hatte den Eindruck, sie schossen einfach drauflos, denn er konnte nirgendwo jemanden erkennen, der sie beschossen hätte.
Die ganze Angelegenheit dauerte höchstens eine Minute. Die Passanten, die soeben noch auf der Erde gelegen hatten, standen wieder auf und setzten ihre Einkäufe wie selbstverständlich fort. Auch Jonathan und seine Gäste krochen wieder unter den Tischen und Bänken hervor.
»Es tut mir leid, Professor«, sagte Jonathan. »Das kommt hier leider immer mal vor. Meistens ist es harmlos, so wie gerade. Machen Sie sich bitte keine weiteren Gedanken darüber.«
Viktor klopfte sich den Schmutz von der Hose, obwohl er die Hoffnungslosigkeit des Unterfangens erkannte. Seine Kleidung ähnelte mehr und mehr der eines Obdachlosen. Er empfand den Vorfall überhaupt nicht als harmlos . Er hatte zwar von SchieÃereien gelesen, aber dies war das erste Mal, dass er selbst davon betroffen war.
»War das ein Angriff auf uns?«, fragte er.
Leslie zuckte mit den Schultern. »Solche Vorfälle gehören hier zur Tagesordnung. Man geht in Deckung und hofft, nicht versehentlich eine Kugel abzubekommen.«
Jonathan erhob sich. »Nun lasst uns die notwendigen Vorbereitungen treffen.«
Er führte seine Gäste zurück in seine Hütte, wo er zunächst den Preis für die Fahrt über die Grenze nannte, eine exorbitante Summe, die Viktor niemals hätte bezahlen können. Es folgte ein gewiss zehnminütiges Feilschen zwischen Jonathan und Leslie, bevor sie sich auf einen Betrag einigten, der deutlich unter der ursprünglichen Forderung lag. Offenbar spielte die ungelöste Geschichte um die Handgranaten erneut eine Rolle.
Ihr Gastgeber hinkte zu einem seiner Leute und gab ihm leise Anweisungen. Während sie auf die Ankunft des Fahrzeugs warteten, tauschten Jonathan und Viktors Begleiterin Erinnerungen aus der Zeit des Bürgerkriegs aus.
SchlieÃlich hörten sie Motorengeräusch vor der Hütte. Ein offener Militärlastwagen war vorgefahren, auf dessen Ladefläche ein halbes Dutzend schwerbewaffnete Männer saÃ.
»Euer Transport«, sagte Jonathan, der sie vor die Tür begleitet hatte. »Das sind sechs meiner besten Männer. Ihr könnt euch absolut auf sie verlassen.«
Viktor fragte sich, wozu sie diesen Geleitschutz benötigten. Hatte Leslie nicht erzählt, die Grenze sei nur wenig bewacht an dieser Stelle? Und war das nicht gerade der Grund, warum Volantes ehemaliger Schüler sie an Jonathan verwiesen hatte, weil der die Schleichwege ins Nachbarland besser kannte als jeder andere?
Jonathan umarmte Leslie und schüttelte Viktor zum Abschied die Hand.
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