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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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berichtet, dass es eine Reihe von staatsfeindlichen Gruppierungen gab, deren Ziel es war, unser Gemeinwesen zu zerstören. Davon hatte ich nie etwas gehört, obwohl ich regelmäßig die Nachrichten verfolgte.
    Â»Wir berichten auch nicht darüber«, erklärte Juli. »Damit würden sie ja genau das erreichen, was sie wollen. Der Brand im Hafen, beispielsweise, vor einem Monat. Das war Brandstiftung, zu der sich eine Gruppe mit dem poetischen Namen Brunnen der Erkenntnis bekannt hat.«
    Â»In den Nachrichten hieß es, es sei ein Schwelbrand in einem Umspannschrank gewesen«, entgegnete ich.
    Juli nickte. »Das meine ich. Es würde keinen Sinn machen, die Bevölkerung zu beunruhigen. Sie vertraut darauf, dass der Staat die Rechte und die Unversehrtheit des Individuums gewährleistet. Wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass der Staat nicht alles im Griff hat, könnte das fatale Auswirkungen haben.«
    Wir erfuhren schnell, dass die Infiltration und Liquidation der Terrorgruppen eine der Hauptaufgaben der Protektoren war. Ich war nicht nur erstaunt darüber, wie viele es von diesen Gruppen gab, sondern vor allem, dass sich immer wieder Menschen fanden, die bereit waren, diese Aktivitäten zu unterstützen.
    Nach einer Reihe von Einsätzen, die von der wochenlangen Observation Verdächtiger bis hin zu paramilitärischen Aktionen in den Randgebieten reichten, rief Juli meine drei Freunde und mich eines Tags zu sich in sein Büro, wo er uns unsere neue Aufgabe erklärte. Es war inzwischen bekannt, wo und wie die Dissidentengruppen ihre Mitglieder rekrutierten. Offenbar waren die Universitäten einer ihrer bevorzugten Tummelplätze, obwohl ich davon bei meinem Studium nichts mitbekommen hatte.
    Gemeinsam mit meinen Kollegen sollte ich an die Hochschule zurückkehren und mein Studium wieder aufnehmen. Diesmal war das Ziel aber nicht ein Abschluss, sondern die Rekrutierung durch eine der Terrorgruppen. Dazu mussten wir uns in Kreise begeben, die wir während unseres Studiums nicht kennengelernt hatten.
    Â»Dieser Auftrag ist lang und vielleicht auch langweilig«, warnte Juli uns. »Es kann Monate dauern, bis man euch kontaktiert. Und trotzdem müsst ihr jeden Moment wachsam sein, denn jeder, den ihr trefft, könnte einer von denen sein, die wir suchen.«
    Wir waren zu viert. Jeder von uns bekam eine Legende, eine fiktive Biografie und einen erfundenen Namen. Wir verbrachten Wochen damit, uns alle Details einzuprägen, denn, so wurde Juli nicht müde, uns einzuschärfen, unser Leben konnte davon abhängen. Nachdem er sicher war, dass wir unsere Tarnidentitäten vollkommen verinnerlicht hatten, informierte uns Juli über den letzten Schritt vor unserem Einsatz. Dazu ließ er uns in seine Wohnung rufen, die auf dem Gelände der Ausbildungskaserne lag. Sie bestand aus zwei kleinen Zimmern und einem Büro.
    Nachdem wir uns im Halbkreis vor seinen Schreibtisch gesetzt hatten, blickte er uns ernst an.
    Â»Ihr werdet euch morgen zu einer Operation ins Militärkrankenhaus begeben. Es ist nur ein kleiner Eingriff, man wird euch bereits drei Tage später wieder entlassen.«
    Er merkte an unserer Reaktion, dass wir nicht begeistert waren von dieser Perspektive.
    Â»Was für eine Operation ist das denn, Sir?«, fragte einer meiner Kameraden.
    Â»Euch wird ein Gerät unter die Schädeldecke gesetzt«, antwortete er. »Das ist eine Operation, der sich jeder Protektor unterziehen muss. Ich war damals genauso ratlos wie ihr jetzt. Bei der Rekrutierung erzählen wir davon nichts, denn es könnte den einen oder anderen bei seiner Entscheidung negativ beeinflussen.«
    Â»Und welchem Zweck dient dieses Gerät, Sir?«, wollte ich wissen.
    Â»Es ist eine fortgeschrittene Technologie, die unser Gehirn durch Abgabe von elektrischen Impulsen so beeinflusst, dass es leistungsfähiger und reaktionsschneller wird. Dies zumindest hat man mir gesagt. Die Operation erfolgt unter lokaler Betäubung und ist völlig schmerzfrei. Und die Wirkung? Ich habe keinen Unterschied zu vorher feststellen können. Bis auf die Stimmen.«
    Â»Die Stimmen, Sir?«
    Er sah mich mitleidig an. »Du hörst die Stimmen doch auch, oder?«
    Â»Natürlich, Sir. Wir alle hören sie. Sie sagen uns, was gut und richtig ist.«
    Â»Und wann hast du sie zum letzten Mal wahrgenommen?«
    Ich überlegte. Jetzt, da er es ansprach,

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