Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
nicht besonders glücklich blieb er stehen.
» Weißt du, wo ich einen finden kann? «
Sie schaute noch immer nicht auf, sondern zerrupfte hing e bungsvoll das Trockenfleisch zwischen den Fingern. » Versuch ’ s im Norden. «
Niccolo runzelte die Stirn. » Bist du sicher, dass es dort welche gibt? «
» Oder im Weste n «, sagte sie schulterzuckend.
» Du hast gar keine Ahnung von Drachen! «, entfuhr es ihm wütend.
» Wie gesagt, ich weiß nicht alles. «
Frustriert warf er die Hände in die Höhe, ging hastig ein paar Schritte auf und ab und blieb dann erneut vor ihr st e hen. » Einverstanden. Was willst du wissen? «
Jetzt hob sie erstmals den Kopf. Wieder dieses unverschämte Lächeln. » Wo kommst du her? Warum hast du goldene Augen? Und weshalb suchst du nach einem Drachen? «
» Ich bin vom Himmel gefallen, das hast du selbst gesagt. Und weißt du was? Es ist die Wahrheit! Meine Augen sind golden, weil alle Menschen dort, wo ich herkomme, goldene Augen haben. Ebenso gut könnte ich dich fragen, warum deine braun sind! «
Ihr Lächeln blieb breit und trotzdem humorlos. Wieder übe r legte er, ob er sie fürchten müsste. Ernsthaft fürchten. » Drachen haben goldene Auge n «, sagte sie. » Nur Drachen, jedenfalls habe ich nie etwas anderes gehört. «
» Aber ich bin keiner. «
» Das ist mir aufgefallen. «
» Ich suche einen Drachen, weil Drachen Aether ausatmen. Und ich brauche Aether, um meine Leute zu Hause zu retten. Es hat mi t « – er suchte nach den richtigen Worten – » m it so was wie Magie zu tun. «
Sie nickte. » Wir kommen dem Kern der Sache schon näher, glaube ich. «
» Was noch? «, brachte er ungeduldig hervor.
» Dieses Zuhause … Es liegt weit weg von hier, sagst du? «
» Allerdings. «
» Und du bist von dort aus hierher geflogen? Mit diesem Ding, mit dem du vom Himmel gefallen bist? «
Er nickte erneut.
Wisperwind hielt ihm ein weiteres Stück Fleisch hin, das er hungrig und nahezu ungekaut herunterschluckte. » Ich bin über die Wipfel gelaufen, als ich dich da oben gesehen hab e «, sagte sie. » Tatsächlich habe ich deinen Flug eine ganze Weile be o bachtet. Es kam mir vor, als wärst du aus den Wolken gestürzt. «
» Schon möglich. Ich war … hoch oben. «
» J a «, sagte sie nachdenklich, » d as schien mir auch so. «
Er sah gehetzt zum Ufer. » Können wir jetzt weiter? «
» Ich habe dich gerettet, weil mich deine Geschichte intere s siert. Nun kenne ich einen kleinen Teil davon, aber noch immer nicht deinen Namen. «
» Niccolo. «
» Es gibt Ausländer in der Kaiserstadt, in Peking, die diesen Namen tragen. Ihre Vorfahren sind aus dem Westen gekommen, vor langer Zeit. Ein Mann namens Polo hat sie angeführt. Marco Polo. Je von ihm gehört? «
Niccolo kannte den Namen aus den Büchern seines Vaters. Marco Polo stammte aus Italien, demselben Land, aus dem das Volk der Hohen Lüfte vor einem Vierteljahrtausend geflohen war. Aber das war auch so ziemlich alles, was er über ihn wusste.
» Wenn man so lange allein unterwegs ist wie ic h «, sagte Wisperwind, » i st man froh, dann und wann eine Geschichte zu hören. Vielleicht erzählst du mir irgendwann mal den Rest von deiner. «
Ja, vielleicht, dachte er. Oder auch nicht.
Die Kriegerin erhob sich mit einem leichten Schwanken, steckte ihre Schwerter ein und blickte an ihm vorbei nach Osten.
» Bereit zum Aufbruch? «, fragte sie. Er massierte seine Schu l ter. » Nein. « Augenblicke später flogen sie wieder.
* * *
Die Flugsprünge von einem Riesenquader zum nächsten zehrten stärker an Wisperwinds Kraft, als sie zugeben wollte. Kurz vor dem Ufer spürte Niccolo, wie sich ihr Griff lockerte. Plötzlich geriet sie ins Trudeln und ließ ihn los. In einer Gisch t fontäne stürzte er ins Wasser, aber da hatten sie bereits so sehr an Höhe verloren, dass die wenigen Meter bis zur Oberfläche ihn nicht umbrachten. Schlimmer war die Strömung, gegen die er verzweifelt ankämpfte, bis er endlich Grund unter den Füßen spürte und sich triefend an Land schleppte.
Wisperwind lag bewusstlos im Gras. Sie war bleich und sah mit einem Mal sehr verletzlich aus. Niccolo drehte sie auf den Rücken, spürte, dass sie atmete, und überlegte, was er tun sollte. Die beiden Schwerter machten ihre Lage unbequem, darum entschied er, die Gurte der Rückenscheiden zu lösen und die Waffen unter ihrem Körper hervorzuziehen. Er legte die Schwerter beiseite und schob sein Bündel unter Wisperwinds Kopf
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