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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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in Cesare Spini vorgegangen war, als er sich mit seinen Büchern und seinem Sohn an den Rand zurüc k gezogen hatte. Sie kannte das Gefühl des Eingesperrtseins, sogar in zweifacher Hinsicht. Wie alle vom Volk der Hohen Lüfte war sie eine Gefangene der Wolkeninsel. Doch in ihrem Fall kam noch etwas anderes hinzu: Sie war eine Gefangene ihrer Bestimmung. Früher oder später würde sie Herzogin sein, ob sie wollte oder nicht. Auf der einen Seite verabscheute sie den Gedanken, denn dieses Amt würde sie in noch engere Fesseln legen. Andererseits aber weigerte sie sich partout, den Zweifeln und dem Drängen der Zeitwindpriester nachzugeben und freiwillig auf die Nachfolge zu verzichten. Die Priester glaubten nicht, dass eine Frau die Aufgaben eines Herzogs erfüllen konnte. Alessia aber wollte ihnen beweisen, dass sie all das vermochte, was von einem Mann erwartet wurde. Wer weiß, vielleicht würde sie eine fähigere Herrscherin über die Wolke n insel abgeben als ihr Vater. Sie liebte ihn, aber sie wusste auch um seine Schwächen. Sie wollte so vieles besser machen, wollte versuchen, wieder Kontakt zu den Geheimen Händlern aufz u nehmen; und irgendwann, vielleicht, ein neues Zeitalter einläuten, eines, in dem die alten Gesetze keine Gültigkeit mehr besaßen. Sie wollte die Hohen Lüfte dem Erdboden öffnen, wollte den Austausch von Waren und Gedanken und sogar Menschen ermöglichen. Alles würde, und das war das Wichtig s te, anders werden.
    Dies waren Alessias geheime Pläne, und sie hütete sich, mit irgendwem darüber zu sprechen. Nicht einmal mit ihrem Vater. Womöglich hätte er dann dem Drängen der Zeitwindpriester nachgegeben und verhindert, dass sie jemals Herzogin wurde.
    Ihre Gedanken kehrten zurück in die Gegenwart, in die neue Welt, die sich unter ihr ausbreitete – und die ihr nun wider Erwarten eine Heidenangst einjagte.
    Sie nahm all ihren Mut zusammen und begann ihren Abstieg zur Baumgrenze.
    Tief geduckt hinter Felsen entlang, so wie sie es sich manc h mal ausgemalt hatte, wenn sie als Kind davon geträumt hatte, am Erdboden wilde Abenteuer zu bestehen. Damals war ihr das alles sehr aufregend erschienen. Jetzt aber hatte sie nur noch Angst. Längst war ihr klar geworden, dass sie mit ihren eigenen Gefühlen ebenso zu kämpfen hatte wie mit allem, was sich ihr hier unten entgegenstellen mochte.
    Der zerfurchte Felshang erschwerte die Fortbewegung, schüt z te sie aber zugleich vor Blicken vom oberen Waldrand. Die Bäume waren noch immer in stürmischem Aufruhr, doch bislang kroch nichts darunter hervor. Worauf warteten diese Wesen? Laub, Nadelholz und Schatten verbargen sie, aber in den Baumkronen musste es von ihnen wimmeln. Vom Steg des Schattendeuters aus hatte es ausgesehen, als sei der gesamte Wald zum Leben erwacht.
    Rund um Alessia waren die Felsen jetzt von dicken Moospol s tern überzogen. Nicht mehr weit bis zu den Wiesen, und dahinter – Die Schreie änderten abrupt ihren Klang.
    Bis gerade eben war der Lärm aus den Wäldern ein un ve r ständliches Chaos gewesen, ein Durcheinander aus hohem Wimmern, tiefem Brüllen und schrillem Kreischen. Nun aber, von einem Atemzug zum nächsten, wurde daraus ein einziger gellender Ton. Alessia hielt sich die Ohren zu, sank hinter einem Fels in die Hocke und zog das schmerzverzerrte Gesicht bis auf die Knie. Der Laut aus tausenden von Kehlen tat in ihren Ohren weh, stach wie Nadeln in ihre Trommelfelle.
    Das Spektakel endete so abrupt, wie es begonnen hatte.
    Unheilvolles Schweigen senkte sich über die Baumgrenze und das weite sattgrüne Tal darunter. Die Kronen kamen zur Ruhe. Hier und da bewegte sich noch ein Pinienzweig, mancherorts knirschte eine Buche. Weiße Birkenstämme schimmerten wie Knochen inmitten des Dunkels unterhalb der Laubdächer. Das aufgebrachte Wogen und Peitschen aber war auf einen Schlag verebbt. Man hätte meinen können, was immer eben noch da gewesen war, hätte sich in Nichts aufgelöst.
    Alessia wusste es besser. Noch immer geduckt schlich sie weiter, an kantigen Felsen vorüber, mal durch Senken, die Gebirgsbäche während der Regenzeit in das Gestein gespült hatten, dann wieder um kolossale Gesteinsbrocken, Trümme r stücke des Gipfels, die irgendwann einmal in die Tiefe gestürzt waren.
    Um sie herum spross das erste Gras aus dem kargen Boden, wurde mit jedem Schritt dichter und buschiger. Die Felsen und Findlinge wurden niedriger. Sie musste sich jetzt auf allen vieren vorwärts bewegen, um weiterhin verborgen

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