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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gerade vor sich ging, mit diesem Wald, mit ihr selbst.
    Schreie wurden im Unterholz laut, ein zorniges Kreischen, als die sicher geglaubte Beute den Rückzug antrat.
    Das gemächliche Locken und Winken verwandelte sich in peitschende Schläge ins Leere, in einen Wirbel aus zuckenden Krallen und packenden Klauen.
    Sie kamen noch immer nicht aus dem Wald.
    Weil sie es nicht können, durchfuhr es Alessia. Oder nicht wagen!
    War das möglich? Fürchtete sich diese Armee unheimlicher Wesen davor, den Wald zu verlassen? Falls das die Wahrheit war, dann drohte dem Volk der Hohen Lüfte noch keine Gefahr. Die Kreaturen würden weder die Felsen überqueren noch die Wolken erklimmen.
    Zugleich aber wurde ihr bewusst, dass sie sich etwas vormac h te. Falls Niccolo nicht mit dem Aether zurü ckk ehrte, würde sich die Insel auflösen, würde ganz allmählich an Festigkeit verli e ren, durchlässig werden wie Nebel. Bis dahin mussten die Bewohner in Sicherheit gebracht werden. Doch wohin sollten sie gehen, wenn in den Wäldern am Grunde des Tals diese Wesen lauerten? Das, was Alessia da vor sich sah, bedeutete nicht weniger als die unumstößliche Gewissheit, dass ihnen der Fluchtweg abgeschnitten war. Ihnen blieb nur die Wahl: zu Tode zu stürzen, oder sich einem aussichtslosen Kampf gegen die Mächte dieser Wälder zu stellen.
    Sie hatte Tränen in den Augen, als sie herumwirbelte und sich auf den Rückweg machte. Hinter ihr fächerten die Astarme der Baumgeister durch die leere Luft, kamen sich gegenseitig in die Quere, verhakten sich, rissen wütend aneinander.
    Noch etwas wurde ihr klar: Sie konnte Niccolo nicht mehr folgen. Der Weg den Berg hinunter war abgeschnitten. Selbst mit einem Luftschlitten würde sie irgendwo i m T al landen müssen, im Herzen dieser Heerschar geisterhafter Kreaturen.
    Kein Ausweg, wohin sie auch blickte. Alles hing jetzt an Niccolo und daran, ob er einen Weg fand, mit dem Aether zu ihnen zurückzukehren.
    Und was sollte sie den anderen sagen? Sie war die Tochter des Herzogs. Sie würde die richtigen Worte finden müssen. Ohne Tränen. Völlig beherrscht.
    Du bist eine Medici. Du wirst selbst einmal Herzogin sein.
    Aber Herzogin von was? Von einer Wolke aus durchlässigem Dunst, den der Wind auseinander blies? Herzogin eines toten Volkes?
    Während sie sich erschöpft und unter Schmerzen den Spalt hinaufschob, wurde ihr bewusst, dass es für jede Art von Gefangenschaft noch immer eine Steigerung gab.
     
    DIE LEGENDE VOM HIMMEL
     
    » Feiqing! «
    Niccolo stürzte auf den gefallenen Rattendrachen zu, der mit Bauch und Schnauze zuvorderst in den Schlamm am Grund der Senke gestolpert war. Der Pfeil, der Feiqing von hinten getro f fen hatte, ragte zwischen seinen Schulterblättern hervor.
    Niccolo wälzte ihn auf die Seite. Das Drachenkostüm hatte sich voller Wasser gesaugt. Damit zu laufen musste höllisch anstrengend sein.
    Aber wie es aussah, würde Feiqing nirgends mehr hinlaufen. Niccolo war überzeugt, dass er tot war – bis ein Ächzen aus dem plumpen Drachenmaul drang.
    » Was … war das? «, keuchte Feiqing.
    Niccolo schaute sich Hilfe suchend nach Nugua um, aber das Mädchen war verschwunden. Der finstere Wald hatte sie verschluckt. Abgehauen, dachte er bitter. Sollte sie doch davonlaufen. Er brauchte sie nicht.
    » Du bist verletzt. « Er wagte kaum, einen Blick auf den Pfeil in Feiqings Rücken zu werfen. » Beweg dich nicht. Irgendwie kriegen wir das schon wieder – «
    » Mir … mir geht ’ s gu t «, stöhnte der Rattendrache.
    Das muss das Delirium sein, überlegte Niccolo. Der Schmerz. Die Gewissheit, dass er sterben würde. O Leonardo, was soll ich nur tun?
    Feiqing versuchte, sich auf den Rücken zu drehen.
    » Nicht! «, stieß Niccolo aus. Zugleich wurde ihm bewusst, dass von dort, wo der eine Pfeil hergekommen war, durchaus noch weitere folgen mochten. » Wir müssen we g «, flüsterte er. » Die Mandschu können jeden Augenblick hier sein. «
    Hilflos kniete er neben Feiqing im Schlamm. Er musste ihn in ein Versteck schaffen. Aber wohin? Hier unten in der Senke gab es kaum Buschwerk. Und die Schrägen rechts und links würde er ihn nie hinaufbekommen, dazu war der falsche Drache zu groß und viel zu schwer.
    » Zieh ihn rau s «, ächzte Feiqing.
    » Was? «
    » Den Pfeil … Du musst ihn rausziehen … «
    Niccolo lief es eisig über den Rücken. Kalter Schweiß brach ihm aus. » Ich bin kein Arzt. Ich weiß nicht, wie man so was macht. «
    Es brach ihm fast das Herz,

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