Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
brach sie atemlos ab.
Plötzlich drehte sie den Kopf und sah zu den Gefährten he r über. Es war das erste Mal, dass sie die drei offen zur Kenntnis nahm. Sie musste Niccolo und die anderen lange vorher bemerkt haben, doch erst jetzt schenkte sie ihnen einen Moment lang ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
Ein zartes Flüstern wehte zu ihnen herüber.
» Ihr müsst mir helfen! «
Niccolo und Nugua wechselten einen Blick. Das Drachenmä d chen schüttelte heftig den Kopf. Auch Feiqing murmelte etwas, das klang wie » Bitte nich t «.
Aber Niccolo sah schon wieder zu Mondkind, und jetzt e r blickte er erstmals ihr Gesicht. Sie war viel jünger, als er angenommen hatte. Noch keine Frau, ganz sicher nicht. Ein Mädchen, vielleicht ein wenig älter als er, aber nicht mehr als ein, zwei Jahre. Ihre Mandelaugen waren dunkel, fast so schwarz wie ihr langes Haar, und sie standen noch schräger als die von Nugua. So überirdisch wie ihre Magie war auch ihre Schönheit, und keines ihrer Seidenbänder hätte Niccolo mach t voller fesseln können als ihr Anblick.
Zögernd setzte er sich in Bewegung, ging langsam auf sie zu.
» Nein! «, brüllte Feiqing.
» Tu das nicht! «, rief Nugua.
Niccolo fühlte sich wie ein Schlafwandler auf dem Weg zum Wolkenrand, sich der Gefahr bewusst, und doch nicht in der Lage, stehen zu bleiben. Aber er war unter keinem Bann, auch nicht in Trance. Er folgte ihrem Ruf aus freien Stücken. Er wollte ihr helfen. Wollte es wirklich.
Nugua kam hinter ihm her und hielt ihn am Arm fest. » Das hier geht uns nichts an. «
Er schüttelte ihre Hand ab. » Sie braucht unsere Hilfe. «
» Du kennst sie doch gar nicht! «
» Mich kennst du auch nicht, und trotzdem hast du mir mehr als einmal das Leben gerettet. «
» Wenn du jetzt in dein Verderben läufst, hätte ich mir die Mühe sparen können. «
» Du siehst doch, dass sie am Ende ist. Und sie ist noch ein Mädchen! «
Auf der anderen Seite der Lichtung schrie wieder der Kranich. Guo Lao richtete sich langsam auf, zog das Schwert aus dem Boden und packte es mit beiden Händen.
» Ich kann ihn besiege n «, wisperte Mondkind.
Niccolo hatte das Gefühl, dass sie schlagartig näher geko m men war. Aber dann wurde ihm bewusst, dass er selbst weitergegangen war und Nugua hinter sich zurückgelassen hatte. Nur noch fünf Schritte.
» Ich brauche dein Ch i « , flüsterte Mondkind. » Deine Leben s kraft. «
Er stutzte. » Was? «
» Du musst mir vertrauen. Gib mir etwas von deiner Kraft, und ich werde Guo Lao vernichten. « Ihr Gesicht war sehr blass, die Haut fast durchscheinend. An ihrem schlanken Hals pulsierte eine Ader, und er dachte: Ich kann ihren Herzschlag sehen. Sein Mund wurde trocken, und seine Augen brannten plötzlich.
» Fürchte dich nich t «, sagte sie sanft. Sie stand noch immer leicht vorgebeugt, eine Hand in die Taille gestemmt wie ein Läufer mit Seitenstechen. » Ich will dir kein Leid antun. Leih mir nur etwas von deinem Chi. Vielleicht kann ich dann auch etwas für dich tun. «
Niccolo spürte, dass er feuerrot wurde. Der Gedanke, dass sie in seiner Schuld stehen könnte, trieb ihm die Schamröte ins Gesicht. » Was soll ich tun? «, fragte er.
Da packte ihn erneut eine Hand, diesmal nicht Nuguas schmutzige Finger, sondern die breite Pranke Feiqings. » Lass uns verschwinde n «, sagte er. » Das hier ist nichts für Sterbliche. «
» Willst du mir helfen? «, flüsterte Mondkind jetzt in di e R ic h tung des Rattendrachen. » Ich kann den Mann in dir spüren. Und die Magie, die dich in einem fremden Körper festhält. Ich kann dich sehen, wie du wirklich bist. Ich sehe dich. «
Feiqing gab ein wimmerndes Seufzen von sich und zog seine Hand zurück. » Was bist du? «
» Ich bin Mondkind. Eine Schülerin der Unsterblichen. « Sie blickte zur anderen Seite der Lichtung, wo Guo Lao sich behäbig in Bewegung setzte. Die Muskeln an ihrem Schwane n hals spannten sich. » Ich bin verraten worden. Man hat mir meine Schwerter gestohlen. Und jetzt will man mich töten. Ich brauche eure Hilfe. «
» Wenn du wirklich so mächtig bist, dann könntest du dir einfach nehmen, was du brauchs t «, wandte Feiqing ein, und Niccolo spürte die Willensanstrengung, die ihn das kostete.
Mondkind nickte. » Das könnte ich. « Sie sah jetzt wieder Nicc o lo an. » Und doch bitte ich dich darum. «
Er gab sich einen Ruck, schaute aber noch einmal über die Schulter zu Nugua, die kopfschüttelnd unter den Bäumen stand, zornige
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