Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
verblüffend junger Stimme, obgleich es Niccolo schien, dass ihr Tonfall nicht ganz so entschlossen war, wie sie es sich wünschen mochte. Ob Niccolo wollte oder nicht – er ergriff augenblicklich ihre Partei.
Der Mann war groß und sehr breitschultrig. Er trug bunte Gewänder mit goldenem Stickwerk und flatternden Bändern. Sein Kopf war kahl und glänzte wie poliert im Mondlicht, seine Wangen waren rot wie frische Äpfel. Seine Füße steckten in geschnürten Sandalen, und beide Arme hatte er mit Bändern umwickelt, die mit einer Vielzahl chinesischer Schriftzeichen bemalt waren; ein fahles Leuchten ging davon aus, so als wären die Zeichen aus winzigen Glutstücken zusammengesetzt.
Als er eine beiläufige Handbewegung machte, zerfiel das Schwertermeer zu feinem Roststaub. Rötlicher Dunst wölkte empor, wurde in Sekundenschnelle von den Bergwinden gepackt und fortgetragen.
» Wollen wir nicht … «, begann Feiqing, schluckte wieder und räusperte sich. » Ich meine … verschwinden? Und zwar, ähm, schnell? «
Niccolo sah Nugua an, dass sie drauf und dran war, ihm zuz u stimmen, daher kam er ihr zuvor und sagte entschieden: » Nein. «
Das Drachenmädchen warf ihm einen zweifelnden Seitenblick zu, zuckte aber nur die Achseln und schaute wieder zu den zwei Gegnern im Herzen der Lichtung hinüber.
Feiqing gab nicht auf. » Aber, seht sie euch doch an … Die werden kämpfen! Und das sind keine Menschen! « Er deutete auf einen hauchdünnen Schlitz, der sich quer über seinen enormen Drachenbauch zog. » Die haben mich verletzt! Ich bin … ve r wundet! « Und als würde ihm erst in diesem Augenblick klar, was das bedeutete, schlug er die beiden unförmigen Pranken vor seinen Bauch und presste dagegen. Doch was da zwischen seinen dicken Fingern hervorquoll, war kein Blut, sondern weiße Wolle, mit der sein falscher Drachenbauch ausgestopft war. » Um Haaresbreite hätten die mich umgebracht! «
» Wir kaufen dir später Nadel und Fade n «, sagte Niccolo.
» Ihr nehmt mein Leiden nicht ernst! « Feiqing stopfte einen winzigen Wollzipfel zurück, danach war der Schnitt kaum noch zu sehen. » Ein Pfeil im Rücken, der Bauch aufgeschlitzt … was kommt als Nächstes? Ein eingeschlagener Schädel? Dann wird es euch Leid tun, dass ihr nicht auf mich gehört habt! «
Die beiden Gestalten auf der Lichtung umkreisten sich. Vorhin hatte der Mann seine Gegnerin Mondkind genannt, und Niccolo fand, dass ihr dieser Name auf beeindruckende Weise gerecht wurde. In der Tat schien sich das Licht des Mondes in der weißen Seide zu fangen und sie mit einem geisterhaften Leuc h ten zu erfüllen. Die Spirale aus weißem Stoff, die sie noch immer wie ein mannshoher Wirbelsturm umtanzte, zog sich mit einem Mal weiter auseinander und schraubte sich zum Himmel empor, bis sie den zarten Mädchenkörper um mehr als das Doppelte überragte. Es sah aus, als wäre sie in einer Säule aus Seide gefangen.
» Die Mondmagie ist deinem Schwerterzauber überlegen, Guo La o «, rief sie ihrem Feind entgegen.
» Das werden wir sehen. « Er hob das riesige Schwert mit beiden Händen über den Kopf. » Phönixfeder ist keine gewöhnl i che Klinge. «
Feiqing zitterte von den Nüstern bis zur Schwanzspi t ze. » Zhang Guo La o «, flüsterte er. » Der Unsterbliche aus den Zhongtiaobergen. Und sein Schwert Phönixfeder! Ich hatte Recht! «
Ohne eine weitere Warnung stürmte der Krieger auf Mondkind zu. Niccolo spürte den Boden bis zum Rand der Lichtung erbeben, während die Füße des Xian eine Rinne ins Erdreich frästen. Gras und Staub spritzten nach beiden Seiten auseina n der.
Die junge Frau vollführte einen komplizierten Wirbel aus Handbewegungen. Seidenbänder lösten sich aus ihrem walle n den Kleid und schossen auf Guo Lao zu, bohrten sich in seine Richtung wie nadelspitze Dorne aus Eis. Er parierte sie mit seiner Klinge, schlug sie nach rechts und links aus seiner Bahn, und da erst wurde Niccolo bewusst, dass sich die Seide bei ihrem Angriff verfestigt hatte. Die Bänder wurden hart wie Stahl, sobald sie auf Mondkinds Gegner zurasten. Auf den ersten Metern wellten sie sich noch wie Flaggen im Sturm, dann aber schossen sie in schnurgerader Linie vorwärts, tödliche Lanzen aus weißem Stoff.
Eine Seidenspitze bohrte sich in Guo Laos linke Schulter, wurde zurückgezerrt und war sofort wieder weich und biegsam. Die Verletzung blutete; die Xian waren verwundbar wie gewöhnliche Menschen.
Guo Lao stolperte, fing sich aber wieder und
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