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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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riss das Mädchen mit sich. Sie verlor ihren Stock, fiel auf den Mann, wirbelte noch im Liegen herum und schlug ihm beide Fäuste mit aller Wucht ins Gesicht. Als Niccolo ihr einen Augenblick später aufhalf, gab der Räuber am Boden keinen Laut von sich. Blut war überall in seinem Gesicht und an Nuguas Händen.
    » Du hast ihm die Nase gebrochen! «, rief Niccolo, während er mit ihr in Feiqings Richtung hastete.
    » Ich hoffe, ich hab ihm den Schädel eingeschlagen! «
    Sie erreichten den Rattendrachen, der aufgeregt von einem Bein aufs andere kippelte, die Hände rang und abwechselnd sein Pech beklagte und die Götter anrief.
    Der Durchgang zur Küche war jetzt frei. Niccolo warf einen Blick über die Schulter zum vorderen Teil des Schankraums. Die Hälfte der Räuber lag am Boden, alle anderen scharten sich brüllend und fluchend um eine Gestalt, die inmitten des Tumults nicht zu sehen war. Nur die donnernde Stimme war unüberhö r bar, und obgleich der Mann, der es mit zwölf Gegnern gleichzeitig aufnahm, auf verlorenem Posten stand, klangen seine Schlachtrufe triumphierend wie zu Beginn des Kampfes.
    » Wer ist das? «, rief Niccolo.
    Feiqing wollte sie durch die Küchentür ziehen, aber Nugua blieb ebenfalls stehen.
    » Keine Ahnun g «, keuchte sie.
    » Kommt jetzt! «, brüllte Feiqing. » Sie werden sich früh genug an uns erinnern. «
    Niccolo rührte sich nicht. » Wir können nicht zulassen, dass sie ihn umbringen. «
    » Seine eigene Schul d «, erwiderte Nugua. » Keiner hat ihn gebeten, uns zu helfen. « Aus ihrer Stimme sprach wieder die alte Menschenverachtung, die Niccolo zu jedem anderen Zeitpunkt in Rage gebracht hätte. Sie glaubte tatsächlich, sie sei etwas Besseres; nicht wie die Herzogstochter Alessia, die sich auf ihren Stand berief; nein, Nugua blickte auf andere Menschen noch immer mit den überlegenen, allwissenden Augen eines Drachen herab.
    Neues Geschrei hob an, diesmal Befehle zum Rückzug. Der Menschenpulk am Eingang platzte auseinander, die Räuber verteilten sich in einem Halbkreis um den Fremden. Nur der Hauptmann blieb vor dem Gegner stehen. Sein teilnahmsloser Blick von vorhin hatte sich in eine Fratze rasenden Zorns verwandelt.
    Zum ersten Mal hatten die drei Gefährten freie Sicht auf den Fremden, der ihnen zur Hilfe gekommen war. Und im selben Moment fragte sich Niccolo, ob es dem Mann dabei tatsächlich jemals um sie gegangen war.
    Er war sehr groß, gewiss, doch vor allem ungeheuer breit. Niccolo hatte noch nie jemanden gesehen, dessen Schultern einen gesamten Türrahmen einnahmen, erst recht nicht den eines Hauseingangs. Ein grobes, bodenlanges Gewand spannte sich über einen mächtigen Bauch; der Nabel zeichnete sich unter dem Stoff ab wie ein Krater. Kräftige Arme, behaart wie ein Wolf, wurden sichtbar, als er seine Waffe hob und die weiten Ärmel zurückglitten. Er trug Lederbänder an jedem Handgelenk und ein auffälliges Amulett um den Hals: zahlreiche Bronz e münzen waren in Form eines Schwertes aufgezogen worden, das bei jeder Bewegung von der enormen Brust zur Seite glitt und dabei ein helles Klingeln erzeugte.
    Der Kopf des Mannes war so kahl rasiert wie der des Räube r hauptmanns. Sogar sein Schädel war breit und bildete ein waagerechtes Oval.
    Mit behaarten Händen schwang er eine Schaufellanze, eine jener sonderbaren Waffen, deren Entwicklung die Chinesen mit besonderer Vorliebe betrieben. Statt einer Spitze befand sich am Ende ein breite gebogene Klinge wie zwei Hörner, ähnlich einem silbernen Halbmond.
    Die Formation der Männer dehnte sich noch weiter auseina n der, während sich der Fremde und der Räuberhauptmann entgegentraten. Niccolo und die anderen schienen vergessen. Trotzdem konnte er den Blick nicht von dem Zweikampf nehmen. Nugua tänzelte nervös hin und her, jetzt mit dem Langmesser eines gefallenen Räubers in der Hand, ohne sich Richtung Küche zurückzuziehen. Nur der Rattendrache warf sehnliche Blicke durch die Hintertür.
    » Die werden ihn umbringe n «, jammerte er. » Und dann werden sie sich wieder an uns erinnern. Und dann werden sie auch uns umbringen. Und dann werden sie – «
    Der Kampfschrei des Räuberhauptmanns schnitt ihm das Wort ab. Der falsche Mönch warf sich vorwärts, holte im Sprung mit seinem Streitkolben aus und ließ ihn auf seinen Gegner niede r krachen. Der Fremde fing den Schlag mit der Rundung seiner Schaufellanze ab, so mühelos, als läge hinter dem Angriff keinerlei Kraft. Zugleich rückten zwei der vier

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