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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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fließende Lava von ohrenbetä u bendem Lärm begleitet würde, doch zu seinem Erstaunen lag eine unheimliche Ruhe über der Landschaft. Nur die heißen Winde fauchten dann und wann über sie hinweg, und über allem schwebte ein feines Gluckern und Glucksen wie von kochendem Wasser.
    Zuletzt erstiegen sie ein Felsplateau, von dessen steiler Kante aus sie zum ersten Mal das ungeheuerliche Ausmaß der Lav a zunge erkennen konnten.
    Vor ihnen lag ein See aus geschmolzenem Gestein, ein e g ewaltige Fläche aus flirrendem Orange, aus waberndem Rot und blendendem Gelb. Von ihrem Standort aus bis zum gegen ü berliegenden Ufer waren es mindestens zweitausend Meter, vielleicht sogar doppelt so weit; die heiße Luft verwirbelte zu Schlieren und ließ keine genauen Schätzungen zu. An manchen Stellen erhoben sich schwarze Felsnasen, winzige Eilande, um die sich die Lava teilte, während sie an ihren steinernen Wurzeln nagte.
    In der Mitte des Lavasees ragte etwas empor, das Niccolos wildeste Fantasien übertraf. Es handelte sich um einen Komplex aus aufstrebenden Gebilden, hoch und schmal, nicht unähnlich den Schwindel erregenden Felsen, die sie seit gestern durc h wandert hatten. Als der Fangshi von Türmen gesprochen hatte, da hatte Niccolo Gebäude erwartet, ähnlich den Burgen, die er manchmal vom Rand der Wolkeninsel aus erspäht hatte, winzig klein unter ihm am Erdboden. Auch in den Büchern seines Vaters hatte er Zeichnungen von Festungen gesehen, manche klobig, andere filigran.
    Nichts von all dem besaß Ähnlichkeit mit der Lavastadt der Götterschmiede.
    Das Flirren der heißen Luft machte es schwer, Details zu erkennen. Doch der erste Eindruck reichte aus, selbst Feiqing für mehrere Minuten zum Schweigen zu bringen. Stumm standen sie da, nur wenige Meter von der Plateaukante entfernt, an deren Fuß die Lava die Felsen zerkochte. Standen da und starrten mit aufgerissenen Augen.
    Die Lavatürme ähnelten einem Bündel aus schwarz verkohlten Zweigen, das jemand hochkant in die glühende Lava gesteckt hatte. Jede einzelne der spindeldürren Strukturen, die sich unten zu einer Art steinernem Dickicht verklumpten, ragte mindestens einhundert Meter über die Oberfläche des Glutsees hinaus. Die meisten verästelten sich zu zwei, drei Auswüchsen, die zur Seite hin abzweigten, um sich dann auf dem letzten Stück bis zur Spitze wieder gerade nach oben zu schwingen. Stränge wie zähflüssige Teerfäden waren zwischen einzelnen Türmen gespannt, gewachsene Dorne aus rußschwarzem Fels, die irgendwann die benachbarten Strukturen berührt hatten und damit verschmolzen waren. Ob die Bewohner sie als Übergänge von einem Turm zum anderen benutzten, ließ sich nicht erke n nen; bei genauerem Hinsehen aber wurde deutlich, dass es auch Hängebrücken von Menschenhand gab, waghalsig hoch g e spannte Verbindungen von einer Felsnadel zur anderen. Niccolo fragte sich, ob es nicht allzu unsicher war, sein Leben bei dieser Hitze schlichtem Seil anzuvertrauen; dann aber wurde ihm klar, dass es sich vermutlich um Kettenbrücken handelte, geschmi e det aus demselben Stahl, der den Göttern als Waffen diente. Immer vorausgesetzt, Feiqings Geschichte besaß einen wahren Kern und die Götter hatten tatsächlich ihre Hände im Spiel gehabt. Aber es schien schwer vorstellbar, dass ein Ort wie dieser nicht auf das Wirken überirdischer Mächte zurückzufü h ren war.
    Wie eine pechschwarze Dornenkrone ruhten die Lavatürme inmitten des Lavasees. Auf den ersten Blick hatte Niccolo geglaubt, sie wüchsen direkt aus dem flüssigen Gestein empor. Doch nun, da er genauer hinsah, erkannte er, dass ihr Fuß von einem schwarzen Ufer umgeben war, einem steilen Strand aus Asche. Da sich der Lavasee und die Türme vorwärts bewegten – seit vielen tausend Jahren, wenn auch zu langsam für das menschliche Au ge –, konnte es sich um keine feste Insel handeln, keinen Berg, um den die Lava herumgeflossen war. Stattdessen schwamm das schwarze Eiland mit seinen himme l wärts strebenden Auswüchsen wie ein Korken auf dem Lavastrom.
    Feiqing fand als Erster die Sprache wieder. » Kann sich i r gendwer vorstellen, wie h eiß mir ist? «
    Niccolo warf ihm einen flüchtigen Blick zu, der aber sogleich wieder von den schwarzen Türmen angesaugt wurde. Manchmal vergaß er, dass der klotzige Körper des Rattendrachen nur ein Kostüm war, in dem ein Mensch gefangen war. Tatsächlich musste Feiqing unter all den Schichten aus Wolle und Lederhaut kurz vor dem

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