Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Pflichtgefühl, die er früher albern gefunden hätte, und eine gute Portion Trotz. Er war bereit, mit Nugua zu streiten, wenn es sein musste. Doch zu seiner Überraschung schwieg sie und wartete ab. Er schluckte. » Wenn ich nicht zurückkomme, dann … dann versprich mir, dass du Aether zum Volk der Hohen Lüfte bringst. «
Ihre Augen weiteten sich. » Aber … wie soll ich … Ist das dein Ernst? «
» Du bist die Einzige, der ich zutraue, dass sie es schaffen kann. «
» O h «, rief Feiqing und verschränkte beleidigt die Arme vor seiner Drachenbrust. » Vielen, vielen Dank. «
» Wirst du das tun? «, fragte Niccolo Nugua.
Sie zögerte. Meister Li kicherte leise im Hintergrund, und Feiqing warf ihm einen verständnislosen Blick zu.
Niccolo hielt sie an der Schulter fest. » Versprich es mir. «
Sie presste die Lippen aufeinander und nickte.
Li klatschte in die Hände. » Laotse sagt: Wen der Himmel beschützen will, den beschützt er mit Liebe. «
» Sagt er irgendwas über Narren? «, fragte Feiqing.
Nugua kniff die Lippen zusammen, löste sich von Niccolo und lief los, um einen Abstieg zum Ufer zu suchen.
Er stand noch einen Augenblick länger da und sah ih r h inte r her. Dann erst drangen Lis Worte allmählich zu ihm durch. » Was hast du gesagt? «
» Nicht s «, erwiderte der Fangshi mit einem Lächeln, » g ar nichts. «
» Dass ihm heiß is t «, maulte der Rattendrache. » Dass er Hu n ger hat. Und dass er gern von hier verschwinden würde. «
Meister Li drohte ihm mit dem Zeigefinger.
Niccolo drehte sich um und folgte Nugua zum Ufer.
* * *
E r sah nur ein einziges Mal zurück, nachdem er den Steg der Perlenschildkröten betreten hatte. Die anderen standen auf einer Felshalde hinter einem Vorhang aus wabernder Hitze und blickten ihm nach. Feiqing wedelte aufgeregt mit dem Drache n schwanz und fegte Aschewölkchen vom Boden. Meister Li redete auf Nugua ein und wollte sie dazu bewegen, sich wieder auf das Plateau zurückzuziehen; zweifellos war es dort sicherer, vor allem wenn wieder einmal eine Lavablase an der Oberfläche zerplatzte und glühend heiße Tropfen in alle Richtungen spritzten.
Nugua schien darüber nachzudenken, Niccolo doch noch zu folgen, aber als sie gerade einen Schritt nach vorn machte, tauchte die vordere Perlenschildkröte ab. Zähflüssige Lava schwappte über ihren Panzer hinweg und verschluckte sie.
Niccolo erklomm einen weiteren Panzer und konzentrierte sich auf den Weg, der vor ihm lag. Die Schildkröten hatten sich Seite an Seite zu einer Kette formiert. We der ihre Schädel noch die Beine oder Schwänze waren unter der Oberfläche zu sehen. Die Panzer selbst waren pechschwarz von einem Überzug aus fester Aschekruste. Darauf waren runde Erhebungen verteilt wie Punkte auf einem Marienkäfer. Das mochten die Perlen sein, die den Wesen ihren Namen gegeben hatten; keine war kleiner als Niccolos Faust, manche so groß wie sein Kopf. Auch sie waren gänzlich von der schwarzen Kruste überzogen und erinnerten eher an verbrannte Bratäpfel als an Schmuckstücke. Niccolo erinnerte sich an die Zeichnungen in den Büchern seines Vaters: Sie hatten chinesische Drachen oft mit einer großen Perle in den Klauen gezeigt – der Legende nach lag darin ihre Magie verborgen. Womöglich wohnte den Perlen im Panzer der Schildkröten ebenfalls ein Zauber inne, der es ihnen erlaubte, inmitten der lebensfeindlichen Lava zu existieren.
Die Hitze war kaum zu ertragen. Niccolo hatte sein Wams abgestreift und um die Hüfte gebunden. Falls ihn Lavaspritzer trafen, hätte ihn auch der Stoff nicht vor Verbrennungen bewahrt. Den weißen Streifen von Mondkinds Kleid trug er noch immer am Gürtel, und einmal, auf dem höchsten Punkt eines Schildkrötenpanzers, ertappte er sich dabei, wie er die Seide mit den Fingern streifte. Ein sanftes Kribbeln kroch seinen Arm herauf.
Hinter ihm tauchten die Zhubieyu ab, sobald er von einer auf die andere sprang. Es gab keinen Weg zurück, das war ihm längst klar; er hoffte nur, dass Meister Li die Riesenschildkröten auch ein zweites Mal herbeirufen konnte.
Die schwarzen Buckel ragten fast zwei Meter hoch aus der Lava, jede ein kleiner Hügel, den Niccolo hinauf- un d w ieder hinabgeklettern musste. Das zehrte an seinen Kräften, und in Verbindung mit der kochenden Hitze wurde der Überweg spätestens nach der Hälfte zu einer entsetzlichen Qual.
Je näher er den Türmen kam, desto höher wuchsen sie über ihm empor. Das Flimmern der Luft
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