Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Siedepunkt stehen.
Nugua trat von einem Fuß auf den anderen. » Wir sollen da rüber gehen? «
Meister Li zuckte die Achseln. » Ihr wolltet, dass ich euch herbringe. Alles weitere ist eure Entscheidung. «
» Ich sehe keine Brück e «, sagte Niccolo. Und wie auch, wenn sich die Lavainsel zwischen den Bergen vorwärts bewegte?
» Es gibt eine andere Möglichkeit. « Lis Blick strich über die Glutebene.
» Bist du jemals dort drüben gewesen? «, fragte Nugua den Fangshi.
Li schüttelte den Kopf. » Nie. «
Feiqing stand vollkommen reglos da, als wäre bei dieser Hitze jede Bewegung, jedes Atemholen eine zu große Anstre n gung. » Die Menschen, die dort leben, sind von den Göttern verdammt. Vielleicht ist es keine gute Idee, sie zu stören. «
Niccolo glaubte nicht an Götter, nicht einmal an den Zeitwind, aber etwas sagte ihm, dass Feiqing Recht haben mochte. Mit einem Mal schien ihm die Vorstellung, dort hinüberzugehen und sich nach der Lage des Drachenfriedhofs zu erkundigen, erschreckend naiv. Schlimmer noch: erschreckend gefährlich.
» Nun sind wir einmal hie r «, sagte er entgegen seiner Überze u gung, » u nd sollten das Beste daraus machen. «
Der Rattendrache stieß ein Winseln aus. » Wenn ihr mich fragt: Das Beste ist, die Beine in die Hand zu nehmen und von hier zu verschwinden. «
Nicht einmal Nugua widersprach. Ihr Blick haftete an den verästelten Felsdornen, die wie schwarze Knochen über den Aschegestaden der Insel emporragten. » Da kommen wir nie hinein. «
Meister Li lächelte geheimnisvoll. » Laotse sagt: Ist der Baum hart und stark, so wird er gefällt werden. «
» Wohl kaum von un s «, jammerte Feiqing.
Niccolo dachte an seine Tiere daheim auf der Wolkeninsel, an den alten Emilio, sogar an Alessia und ihren Vater. Sie waren darauf angewiesen, dass er mit dem Aether zurückkehrte. Wenn er es nicht tat, würden sie alle sterben. Und er wusste nicht einmal, wie viel Zeit ihm noch blieb.
Feiqing rang nervös die Hände. » Sieht irgendwer Menschen dort drüben? «
Niccolo schrak aus seinen Erinnerungen auf. » Was? «
» Kannst du jemanden sehen? Auf den Türmen, meine ich. Oder auf den Brücken. Irgendwo. «
Nugua nickte. » Er hat Recht. Sieht ausgestorben aus. «
» Die Schmieden werden kaum unter freiem Himmel lie ge n «, gab Niccolo zu bedenken. » Außerdem flimmert die Luft viel zu stark. « Er wandte sich an Li. » Was hast du gemeint mit , Es gibt eine Möglichkeit ’ ? «
Die Augen des Fangshi verengten sich. » Sie ist … beschwe r lich. «
Nugua sah ihn verwirrt an. Lavafeuer spiegelte sich auf ihrer glänzenden Haut. Sie alle schwitzten erbärmlich. » Wir haben jetzt keine Zeit für Rätsel. «
» Laotse sagt – «
Nugua fiel dem Fangshi ins Wort. » Laotse ist lange tot und spricht mit den Würmern im Grab. «
Meister Lis Blick verdüsterte sich, aber er erwiderte nichts darauf und trat an die Felskante, so nah, dass sein Umriss von der flirrenden Luft umkocht wurde und die Ränder seines gewaltigen Leibes verschwammen. Er ergriff die Schwertlanze mit beiden Händen und hielt sie an ausgestreckten Armen waagerecht über seinen kahlen Schädel.
Niccolo stutzte. » Was macht er da? «, flüsterte er Nugua zu.
Sie schüttelte den Kopf. » Keine Ahnung. «
» Er wird wissen, was er tu t «, sagte Feiqing.
Sie sahen Li nur von hinten, aber sie konnten hören, dass er Worte sprach, gemurmelte Silben, die in Niccolos Ohren keinerlei Sinn ergaben. Nugua ergriff seine Hand und drückte fest zu.
» Drachensprach e «, entfuhr es ihr.
» Ich dachte, Drachen sprechen wie wir, weil … na ja, weil du wie wir sprichst. «
» Das da ist die alte Sprache der Drachen. Sie benutzen sie nur noch zum Zeremoniell und manchmal, wenn ei n p aar der Ältesten unter sich sind. Die Drachenkönige begrüßen sich noch damit. Und wenn sie einen Zauber wirken, dann … « Sie verstummte.
» Du meins t «, stöhnte Feiqing, » d as da ist Drachenzauber? «
Meister Li war jetzt völlig in seine Beschwörung vertieft. Nicht einmal ihr Gerede schien ihn zu stören. Es war, als hätte jemand eine flirrende Wand aus Glas zwischen ihn und die drei anderen geschoben.
Das Felsplateau und die Kante, an der sie standen, erhob sich zwanzig Meter über dem Lavasee. Die Helligkeit der Glut war blendend, die Hitze trocknete ihre Augen aus. Und doch sahen sie alle, dass sich dort unten etwas veränderte.
Etwas tauchte aus den Tiefen des kochenden Gesteins empor. Eine
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