Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
fassen, worüber sie hier sprachen. » Es sind nur noch drei Xian übrig! Wenn ihr sterbt, das hast du selbst gesagt, dann kann keiner den Aether mehr aufhalten. « Das waren große Worte, und sie entsprachen der Wahrheit – doch eigentlich ging es ihr um etwas anderes: Sie wollte nicht, dass Li starb. Sie wollte, dass sie aufwachte und dies alles nur ein böser Traum war; wollte, dass sie aufwachte und hinter dem Xian auf dem Kranich saß, mit schmerzendem Hinterteil und weit weg von schwermütigen Ungeheuern mit mehr Seelen als Beinen. Vor allem aber wollte sie nicht noch einmal allein zurückgelassen werden . Der Drachenkönig war für sie wie ein Vater gewesen, und sie hatte ihn verloren. Der Gedanke, dass es ihr mit Li genauso ergehen könnte, war zu schmerzhaft, um ihn in Worte zu fassen.
» Vielleicht kann Yaozi oder einer der anderen Drachen dich wirklich retten «, sagte Li. » Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich dies tun muss. Du wirst zu den Drachen gehen, wohin auch immer sie verschwunden sind, und du wirst ihnen klarmachen, dass es ihre Aufgabe ist, den Aether zu bekämpfen. Sag ihnen, dass nur noch wenige … nur noch zwei Xian übrig sind und dass der Aether die Verbindung zwischen Himmel und Erde endgültig zerschlagen wird, wenn wir alle fort sind. Sag es ihnen – und das, was ich tue, wird das Richtige sein! «
» Ich will das nicht! Ich – «
» Still! « Er ließ sie stehen und wandte sich wieder an den Seelenschlund. » Du hast noch nie die Seele eines Xian ve r schlungen, nicht wahr? Und du bist ganz versessen darauf. Ist es nicht so? «
Das gewaltige Gesicht gab sich gelassen. » Nun, vielleicht. «
» Ich könnte mich wehren. Ich könnte kämpfen und dir allerlei Verletzungen zufügen. Am Ende würdest du mich auffressen, so oder so, aber ich würde dir vorher Schmerzen bereiten. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass dir daran gelegen ist. « Er schenkte dem Gesicht, das ihn um das Dreifache überragte, einen lauernden Blick. » Es geht dir nicht gut, das sagst du selbst. Und nach einem Kampf würde es dir noch viel schlechter gehen. Aber wenn du mich ohne Widerstand verschlingen könntest, das wäre ein Triumph für dich, nicht wahr? Ich denke, das würde dir gefallen. «
Der Seelenschlund seufzte. » So stellt schon eure jämmerliche Frage, und die Seele des Drachen wird sie euch beantworten. « Er klang jetzt quengelig vor lauter Selbstmitleid. » Ich will nicht mehr reden. Jedes weitere Wort erinnert mich nur daran, wie dumm und undankbar die Welt ist. «
» Ich möchte wissen, wohin die Drachen verschwunden sind «, rief Li dem Seelenschlund zu.
Das Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse, zerfloss zu einer glatten Fläche und wölbte sich dann mehrfach nach innen und außen, so als könnte sich das Wesen nicht entscheiden, welches Antlitz es als Nächstes annehmen wollte.
Zuletzt bildete sich das Gesicht eines uralten Drachen . Nuguas Herz machte einen Sprung, in ihr stieg eine verzweifelte Freude auf. Es war so lange her, seit sie einem Drachen zuletzt von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hatte. Obwohl auch seine Augen keine Pupillen besaßen, strahlte seine ehrwü r dige Miene Weisheit und Freundlichkeit aus. Aus den Seiten seines Drachenmauls wuchsen zwei gewaltige Fühler, schlänge l ten sich durch die Luft auf Nugua zu und berührten sie sanft.
» Etwas an dir ist … vertraut «, sprach der Drache. » Irgende t was in dir erkenne ich. «
» Ich bin die Tochter Yaozis «, sagte sie stolz. » Der Drache n könig des Südens hat mich in seine Obhut genommen, als ich ein Neugeborenes war. Ich bin als eine von seinem Clan aufg e wachsen. «
» Wie ungewöhnlich «, sagte der Drache und lachte leise. » Aber es passt zum alten Yaozi, dass er sich eines Menschenkindes annimmt und versucht, einen Drachen daraus zu machen. «
Plötzlich zuckte er, seine Miene drohte zu zerfließen, formte sich dann neu. » Wir haben wenig Zeit «, sagte er und zog die Fühler zurück. Die leeren Augen suchten Li. » Stell mir deine Frage, Xian. «
» Verrate uns, wohin all die Drachen gegangen sind . Yaozi und die anderen … Es scheint, als hätten sie sich aus der Welt zurückgezogen. Nicht einmal die Xian wissen, wohin sie verschwunden sind. «
» Nicht fort aus der Welt «, widersprach der Drache. » Nur dorthin, wo sie eine Weile lang sicher sind – wenn auch nicht für immer. «
» Was für ein Ort ist das? «
» Die Dongtian der Himmelsberge. «
Li holte tief
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