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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Kopf unmittelbar vor ihnen befand, mehr als viermal so hoch wie Nugua selbst, zeigte er sich wieder vollkommen glatt. Lediglich unter der Oberfläche schien es zu rumoren, eine sanfte Bewegung, die allmählich zu bebenden Wellen wurde.
    Noch griff das Wesen sie nicht an. Dabei hätte es sie in diesem Augenblick ohne jede Mühe zerquetschen können. Als Li Nugua wieder am Boden absetzte und sich schützend mit der Lanze vor ihr aufbaute, trennten si e k eine zehn Meter mehr vom Kopfse g ment des Riesenbiests.
    » Was, bei allen Drachenkönigen, ist das? « Angsterfüllt und doch viel zu neugierig trat sie hinter Lis Rücken hervor.
    » Das wird es uns gleich selbst sagen. «
    » Sagen? Du meinst, wie … sprechen ? Dieses Ding? «
    Die Schüttelbewegung der sandigen Kopffläche hielt inne, und gleich darauf wölbte sich eine neue Form daraus hervor.
    Ein menschliches Gesicht.
    Drei oder vier Meter hoch, mit geschlechtlosen Zügen, die sich nicht zwischen Mann und Frau entscheiden konnten, mit großen, pupillenlosen Augen. Es war nur die grobe Imitation eines Menschen, aber für einen Tausendfüßler zweifellos passabel.
    » Ihr könnt mir nicht entkommen «, sprach das Gesicht mit rasselnder Stimme. Die Bewegung der Kiefer war schlecht aufeinander abgestimmt und wirkte kantig wie bei einer Han d puppe.
    Lis große Füße standen fest auf dem Boden wie Steinsockel. Nugua sah ihm an, dass er keinen Schritt mehr zurückweichen würde.
    » Du bist ein Xian «, stellte der Tausendfüßler fest. Seine vord e ren Beine wuchsen unmittelbar hinter dem Kopfsegment aus den Chitinpanzern; sie vibrierten vor Erregung. » Ich kann wittern, dass du ein Xian bist. «
    » Dann weißt du, dass du die Götter selbst angreifst, wenn du dich gegen mich stellst. «
    Ein unangenehmes Schnarren drang über die farblosen Lippen. Falls das die Imitation eines menschlichen Lachens sein sollte, war es übel missglückt. » Ich bin der Seelenschlund. Ich habe viele Götter verschlungen, als sie noch in Fleisch und Blut über die Welt wandelten. «
    » Das ist lange her. «
    Seelenschlund. Nugua versuchte sich zu erinnern, ob die Drachen je von einer Kreatur dieses Namens gesprochen hatten. Aber ihre Angst schien jeden Winkel ihres Bewusstseins auszufüllen. Sie hätte nicht mehr fortlaufen können, selbst wenn das Wesen ihr eine Chance dazu gegeben hätte.
    » Was tust du an diesem Ort, Seelenschlund? «, fragte Li.
    » Ich fresse. So wie es meine Art ist. «
    » Bis wir hier eingetroffen sind, kann es nicht viel gegeben haben, das sich zu fressen gelohnt hat. «
    » Umso ungeduldiger bin ich, Xian. «
    » Ein Drache hat in dieser Schlucht gelebt. Ein Wächter über die Toten. «
    » Jetzt lebt er in mir. « Eine tiefe Zufriedenheit lag im Tonfall der Kreatur, die erste menschliche Regung, die sie glaubhaft zu Stande brachte.
    » Du hast ihn verschlungen? «
    » So ist es. «
    Nugua hätte bei diesen Worten verzweifeln müssen, doch nicht einmal das vermochte sie. Ihre Todesangst war wie ein Schwamm, der jede andere Empfindung aufsaugte.
    » Das Wissen dieses Drachen lebt in dir weiter? «, fragte Li.
    » Natürlich. So wie das Wissen eines jeden Wesens, dessen Seele ich fresse. «
    Der Seelenschlund!, durchfuhr es Nugua. Etwas schälte sich aus ihrer Erinnerung. Natürlich! Ein Wesen, das seit Äonen existierte, getrieben von dem einzigen Bestreben, ein Exemplar jeder lebenden Art, jeder Gattung, jeder Rasse aufzufressen. Nicht weil es hungrig war oder gierig, sondern weil es das Wissen seiner Opfer in sich vereinte. Es trug die Seelen all jener, die es verschlungen hatte, weiterhin in seinem Inneren, ein Kaleidoskop aus Millionen Geistern, Erinnerungen und Wesenszügen. Die Drachen hatten davon wie von einer Legende gesprochen, und die Tatsache, dass Nugua ihm gegenüberstand, ausgerechnet in dieser Schlucht am Ende der Welt, erschien ihr abstruser als ein Albtraum.
    Genauso wie die Tatsache, dass eine mythische Kreatur wie der Seelenschlund – bei aller Größe – den Körper eines Ta u sendfüßlers hatte.
    Sie machte einen Schritt nach vorne. Das gewaltige Gesicht betrachtete sie mit seinen leeren, sandgeformten Augen.
    » Du bist kein Xian «, sagte es ohne jedes Interesse.
    » Nein. Nur ein Mensch. «
    » Ich habe so viele Menschen gefressen, dass mir euer G e schmack zuwider geworden ist. Von dir will ich nichts. «
    Li straffte sich kaum merklich. » Aber du hast noch nie einen Xian gekostet, nicht wahr? «
    » In der Tat. « Der

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