Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
Luft. » Sie verbergen sich in den Heiligen Gro t ten? «
Die Drachenfühler wippten auf und ab, was einem Nicken gleichkam. » In den Heiligen Grotten tief unter den Himmelsbe r gen, nahe den Gebeinen der Erde. In den Dongtian kann der Aether sie nicht – «
Das Gesicht des Drachen verzog sich, schrumpfte zurück, wurde eine glatte Fläche. Bald darauf erschienen wieder die Menschenzüge des Seelenschlunds. » Genug! «, rief er. » Du hast deine Antwort bekommen, Xian. «
Li wandte sich an Nugua und legte ihr eine schwere Pranke auf die Schulter. » Hast du je von den Himmelsbergen gehört? «
Sie schluckte, als ihr bewusst wurde, dass der Xian es ernst meinte. » Li, ich – «
Seine Miene verdüsterte sich. » Kennst du die Himmelsberge? «
» Ich hab von ihnen gehört, ja. « Sie unterdrückte ein Schluc h zen. » Sie liegen im Norden, jenseits der Großen Wüste Taklamakan. Und ich weiß, was Dongtian sind . Ich war schon mit Yaozi in Heiligen Grotten im Osten . Einmal sind wir tief unter der Erde von einer Dongtian zur anderen gezogen, tagelang, auf Wegen, die nur die Drachen kennen. «
» Dongtian gibt es in vielen Gebirgen und Heiligen Bergen Chinas. Aber nirgends sind sie größer und tiefer als in den Himmelsbergen. Zu tief sogar für die Drachen, hätte ich angenommen. Es gibt Geheimnisse in den Himmelsbergen, denen kein Sterblicher nahe kommen will. Und auch kein Unsterblicher, was das angeht. Die Drachen gehen ein großes Risiko ein, ganz ohne Zweifel. « Er atmete tief durch. » Ich frage mich, was sie planen. «
Der Seelenschlund grollte. » Du wirst es nicht mehr erfahren, Xian. Es wird Zeit, deinen Teil unseres Handels einzulösen. «
Li beachtete ihn nicht. Sein Blick versenkte sich tief in Nuguas Augen. » In den Himmelsbergen wirst du die Drachen finden. Yaozi wird dich heilen. Erzähle ihnen alles, was hier geschehen ist. Alles, hörst du? Der Kranich wird dich zu ihnen tragen. «
Über ihnen ertönte ein Krächzen, als der Riesenvogel aus dem Nebel stieß und in eine Kreisbahn schwenkte. Er hatte nach der Begegnung mit der Zunge des Seelenschlunds merklichen Respekt vor dem Tausendfüßler und schrie ihm aus der Luft schrille Laute entgegen.
Li gab dem Tier einen Wink. Widerwillig senkte es sich herab und landete in einiger Entfernung. Sein linkes Bein schien nicht gebrochen zu sein, hatte jedoch beim Aufkommen am Boden Schwierigkeiten, festen Halt zu finden. Erst auf ein zweites Signal hin stakste der Kranich heran, blieb ein paar Meter hinter Nugua und Li stehen und schien nicht bereit, noch näher an den Seelenschlund heranzukommen.
» Gut «, sagte Li zu Nugua. » Geh jetzt. «
» Nein. «
» Nugua, bitte. « Diesmal herrschte er sie nicht an wie zuvor, sondern ging in die Hocke und zog sie nach kurzem Zögern an sich. Früher hatte sie es verabscheut, wenn Menschen sie berührten; jetzt aber dauerte es nur einen Herzschlag, ehe sie ihren Widerstand aufgab. Lis Umarmung erinnerte sie an die Geborgenheit, die ihr die Nähe Yaozis eingeflößt hatte. Das aber machte die Vorstellung, Li zu verlieren, noch unerträglicher.
Der Xian sprach ruhig, aber mit Nachdruck. » Du musst gehen, solange der Seelenschlund mit mir beschäftigt ist und er es sich nicht anders überlegen kann. Sonst, wer weiß – vielleicht mache ich ihm Appetit auf einen zweiten Happen. « Er lachte leise, aber es klang nicht besonders fröhlich.
Nuguas Augen brannten. Sie spürte, wie Tränen heiße Spuren durch den Knochenstaub auf ihren Wangen zogen und sich unterm Kinn sammelten. Wütend wischte sie sie fort.
» Deine Reise hat gerade erst begonnen «, sagte Li, » und, glaub mir, ich wäre gern dabei, um zu sehen, wie du es dem Aether zeigst. Im Herzen bist du ein Drache – das hast du selbst immer gesagt. «
Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. » Kannst du dieses Ding nicht umbringen? Die Drachen hätten ihn in Stücke gerissen! «
» Niemand besiegt den Seelenschlund. Er weiß alles, kennt alles. Er ist älter als ich, älter noch als manche unter den Göttern. Er hat Millionen von Seelen verschlungen, und er verfügt über all ihr Wissen, all ihre Persönlichkeiten. « Er drückte Nugua ein letztes Mal an seine breite Brust, dann stand er auf und streichelte ihr übers Haar. » Steig jetzt auf den Kranich. «
Der Seelenschlund stöhnte. » Wie das dauert! «
Li schenkte ihm einen finsteren Blick. » Du hast Äonen darauf gewartet, einen wie mich zu verschlingen. Ein paar Minuten mehr oder
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