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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Seelenschlund lachte wieder, jetz t s chon sehr viel menschlicher. Offenbar brauchte er eine Weile, bis er aus der Vielzahl der ihm zur Verfügung stehenden Antlitze und Seelen die passenden Regungen zusammengeklaubt hatte.
    » Nugua «, flüsterte Li. » Der Kranich wird dich von hier for t bringen. Er wird dir gehorchen. «
    » Was? « Sie starrte ihn an, fassungslos angesichts dessen, was in diesen Worten mitschwang. » Dieses Ding wird dich nicht fressen! Und du wirst nicht sterben oder hier bleiben oder – «
    Er wollte sie mit einer Geste besänftigen, aber ihre Stimme überschlug sich nur noch mehr.
    » Wir gehen zusammen von hier fort! «, brachte sie mühsam hervor. » Ohne dich bewege ich mich nicht von der Stelle! Hörst du? Du kannst nicht – «
    Der Seelenschlund übertönte sie. » Dein unsterblicher Freund weiß, dass er keine andere Wahl hat. «
    » Natürlich hat er die! «, schrie sie das Ding wutentbrannt an, stemmte die Hände in die Hüften und stampfte mit dem Fuß auf. » Wie kannst du es wagen? Du … du bist nur ein … Insekt! «
    Das Menschengesicht des Seelenschlunds stülpte sich nach innen und zerstrudelte wieder zu einem bodenlosen Trichte r maul. Die elastischen Zahnzotten fächerten nach außen, so als wollten sie nach Nugua greifen. Sogleich aber schloss sich der schreckliche Rachen wieder, und erneut erschien das Sandg e sicht.
    Nugua spuckte auf den Boden. » Du machst mir keine Angst! « Das war der Drache in ihr, der endlich wiede r z um Vorschein kam; sie hatte diesen Teil von sich bereits vermisst.
    Das Wesen hob eine haarlose Augenbraue und legte die Stirn in Falten. Dann blies es die Backen auf und stieß ein tiefes Seufzen aus. » Ach, es ist ein Elend «, stöhnte die trockene Rasselstimme aus dem Inneren des Tausendfüßlers. Die Mun d winkel des Riesengesichts bogen sich nach unten. Plötzlich sah es niedergeschlagen aus, bedrohlich nur durch seine Größe. » Ich bin es so leid! Ich besitze mehr Wissen als jede andere Kreatur auf Erden, aber ich bin in einem Körper gefangen, der jedem anderen Ekel einflößt. Schaut mich nur an! Keiner kennt so viele Geheimnisse wie ich, und doch bin ich dazu verdammt, mich an Orten wie diesem herumzuwälzen, allerhand Zeug kaputtzum a chen und mir von Kindern sagen zu lassen, dass sie mich nicht fürchten. «
    Nugua warf Li einen zweifelnden Seitenblick zu. Sein Gesicht blieb ein Rätsel; vielleicht ahnte er, dass die Stimmungen des Seelenschlundes unberechenbar waren, so vielfältig wie die Charaktere der Seelen, die in ihm weiterlebten.
    Die Kreatur bildete ein Tentakel aus, mitten auf ihrer Me n schenstirn, und kratzte sich damit unterm Auge. Erst als der Fangarm wieder verschwunden war, begriff Nugua, dass der Seelenschlund sich eine unsichtbare Träne fortgewischt haben musste. Das Gesicht, das sich aus der sandigen Oberfläche wölbte, war nicht fähig zu weinen, doch die Seelen dahinter konnten sich sehr wohl fühlen, als ob sie weinten. Vermutlich war das noch einer der kleinen Widersprüche, die entstanden, wenn tausende und abertausende Wesenheiten in einem einz i gen, fremden Leib zusammenkamen.
    » Nur Pein, nur Elend, wohin man auch sieht «, wehklagte der Seelenschlund.
    » Wir möchten dem Wächterdrachen in dir eine Frage stellen «, sagte Nugua.
    Die Kreatur schien sie nicht zu hören. Sie war versunken in ihren Weltschmerz. » Nur Schlechtigkeit, nur Übel allüberall. Ach, was gäbe ich dafür, nicht der Seelenschlund zu sein, sondern eine Blume! Ein Tautropfen ! Ach, wär ich doch nicht der Seelenschlund! «
    » Eine Frage «, wiederholte Nugua beharrlich.
    Die Augenbrauen schoben sich zusammen, der pupillenlose Blick verengte sich. » Warum sollte ich euch eine Bitte gewä h ren? «
    Li kam Nugua zuvor. » Das ist mein Preis. «
    » Was? « Sie zerrte an seinem Wams. » Bist du verrückt gewo r den? «
    Li nickte dem Seelenschlund zu. » Entschuldige uns einen Augenblick! «
    Das Riesengesicht setzte eine gleichgültige Miene auf. » Bi t te. «
    Der Xian zog Nugua herum, sodass beide dem Ungeheuer den Rücken zuwandten. » Er kann uns wahrscheinlich sagen, wohin die Drachen verschwunden sind! Er ist unsere letzte Hoffnung, verstehst du? Lass mich mit ihm verhandeln, und halt dich da raus. «
    » Aber – «
    » Nein! «, fuhr er sie an. » Kein Aber! «
    » Du kannst dich doch nicht von ihm fressen lassen, nur damit die Drachen mir das Leben retten! « Sie sagte das wie betäubt; sie konnte noch immer nicht ganz

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