Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Felsspalten verborgen und sie hassten die Drachen mit der gleichen Inbrunst, wie die Raunen es taten.
»Es sind viele«, sagte der Drachenkönig. »Rechts von uns im Dunkeln, und vielleicht noch mehr weiter unten.«
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, als die ersten Juru ins Licht seiner Schuppen krochen. Sie ähnelten nur auf den ersten Blick und sehr entfernt den Menschen. Statt eines Kopfes befand sich auf ihren Schultern eine Art Schneckenhaus aus Muskelfleisch, ein grauer Wulst wie ein nach vorn aufgerollter, viel zu breiter Elefantenrüssel. Darunter, wo bei einem Mann der Adamsapfel saß, klaffte ein schrecklicher Schlund mit großen, rechteckigen Zähnen und einem einzelnen schnabelförmigen Fangzahn in der Mitte des Oberkiefers, länger als Nuguas Hand.
Sie waren sehnig und wirkten ausgehungert, grau wie tagealte Leichen. Ihre unterentwickelten Oberarme endeten in grotesk breiten Muskelknoten, aus denen - statt Handgelenken - säbellange Stacheln aus Horn ragten, krumm und schartig wie zernagtes Gebein. Unterhalb der Knie spalteten sich ihre Schenkel in zwei Knochenspeichen auf, ebenfalls hakenbewehrt. Auf ihren Hornklingen an Armen und Beinen bewegten sie sich wie Tiere auf allen vieren. Mit Vorliebe liefen sie an Felswänden entlang, kopfüber oder seitwärts, wo ihre Haken im porösen Untergrund den besten Halt fanden. Hier in den Grotten schienen sie eine günstige Heimstatt gefunden zu haben, ein grenzenloses Reich aus Stein, auf dessen rauen Oberflächen sie so flink wie Ameisen umherwimmeln konnten.
Die vorderen Juru waren beim Anblick des Drachen stehen geblieben, setzten sich nun aber erneut in Bewegung. Hinter ihnen rumorten weitere Umrisse im Schatten. Angriff im Rudel war die einzige Taktik, die sie beherrschten, und sie führte bei Drachen selten zum Ziel. Allerdings hatte Nugua noch nie so viele von ihnen auf einmal gesehen, fünfzehn oder zwanzig allein jetzt im Lichtkreis der Drachenschuppen und sicher noch mehr verborgen in der Finsternis. Sie bedauerte, dass sie Lis Götterlanze nicht bei sich trug; sie lag in einer Höhle weiter oben, neben ihrem Lager aus Drachenhaut und Fell.
Yaozi brüllte eine Warnung, als sich gleich drei der Felsenwesen vom Boden lösten und wie mumifizierte Springspinnen auf die Reiterin in seinem Goldgeweih zuschnellten.
Einen Herzschlag lang war sie starr vor Entsetzen.
Die Stimme des Drachenkönigs ließ den Fels erbeben. »Halt dich fest!«
Nugua wurde herumgerissen, als Yaozi seinen Schädel auf die Seite rollte. Er kippte das Geweih nach links, fort von den heranschnellenden Juru. Damit brachte er zwar Nugua, die tief zwischen den verästelten Enden saß, für einen Moment in Sicherheit, bot den Angreifern aber notgedrungen die verletzlichere Unterseite seines Schädels dar.
Ein Kreischen drang aus den Kehlen der Felsenwesen. Die titanische Größe von Yaozis Leib fing den Aufprall der ersten Kreaturen ab, ohne dass Nugua sie spürte. Auch konnte sie von ihrer Position aus nicht erkennen, was auf der anderen Seite des Drachen geschah. Er hielt den Kopf noch immer seitwärts gedreht, um Nugua zu schützen, was zugleich aber sein eigenes Blickfeld beschränkte. Auch konnte er so das riesige Maul nicht einsetzen.
Nugua entdeckte drei Juru, die über Yaozis Rücken kletterten. Mit ihren Hakenkrallen war es für sie ein Leichtes, seine Schuppen zu erklimmen. Einer von ihnen schlug sich mit den säbelartigen Dornen an seinen Armen durch die Haarflut von Yaozis Mähne wie jemand, der sich mit einem langen Messer durchs Unterholz kämpft. Kurz kam Nugua der Gedanke, dass die Juru es tatsächlich auf sie selbst abgesehen haben könnten, so zielstrebig kamen sie näher. Dann jedoch machte sie sich bewusst, dass selbst die instinktgesteuerten Felsenwesen wissen mussten, dass Yaozis Schwachstellen alle am Schädel lagen. Seine Augen. Seine Nüstern. Und nun auch noch Nugua, die ihn daran hinderte, sich mit aller Kraft zu verteidigen.
Doch sowohl sie selbst wie auch die Juru hatten den Drachenkönig unterschätzt. Wenn ein Drache kämpft, dann kämpft er. Und gnade all jenen, die dabei in seinen Weg geraten.
Yaozi ließ seinen Schädel noch einen Moment länger auf der Seite ruhen, bewegte aber zugleich den Rest seines Körpers. Zuerst sah es aus wie ein zielloses Schlängeln. Gleich darauf aber erkannte Nugua, was er tatsächlich tat: Yaozi holte Schwung. Mit seinem gesamten, mehr als hundert Meter langen Leib.
»Festhalten!«, brüllte er noch
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