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Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wieder aufzunehmen? Dass du wieder eins sein wirst mit dem Aether jenseits des Himmels, nicht mehr gefangen in dieser Wolke? Ist es das?«
    »Ja. Ich werde weiterleben.«
    »Aber um welchen Preis?«
    »Den Preis der Unterwerfung.«
    »Dann sag mir endlich, was er von dir verlangt! Warum sind wir so wichtig für ihn?«
    »Nicht ihr. Nur die Wolkeninsel.«
    »Warum?«
    Die Stimme hielt einen Moment lang inne. »Sie ist eine mächtige Waffe.«
    »Wie kann sie -« Alessia verstummte. Plötzlich begriff sie.
    »Wenn wir am Ziel sind, wird die Wolkeninsel zu Boden stürzen «, sagte das Fragment. »Sie wird alles unter sich begraben. Alle Feinde des Aethers, all die Kreaturen, die seine Pläne vielleicht noch vereiteln könnten. Er fährt viele Waffen gegen sie auf, gerade in diesem Augenblick, aber diese hier ist die mächtigste. Es wird sein, als fiele der Mond auf die Erde herab. Große Kraft und gewaltige Zerstörung.«
    Sie versuchte sich die Katastrophe vorzustellen, die seine Worte heraufbeschworen. Die Insel, mehrere Kilometer im Durchmesser, würde wie ein Stein aus den Hohen Lüften auf die Erde herabstürzen. Ihr Aufschlag würde grauenvoll sein. Nichts würde überleben, das sich dann in ihrer Nähe aufhielt. Ein Aufprall wie dieser konnte Flutwellen erzeugen, ganze Städte auslöschen - und Berge spalten.
    Ihre Stimme bebte. »Das würdest du tun? Das Wolkenvolk auslöschen, obwohl es dich doch erst zu dem gemacht hat, was du bist? Nach allem, was du von uns gelernt hast?«
    » Vor allem habe ich Furcht kennengelernt. Kein anderes Gefühl beherrscht euch so wie dieses eine. Alles, was ihr tut, tut ihr aus Angst - und oft bemerkt ihr es nicht einmal. Angst vor Schmerz, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor der Welt. Vielleicht war ich glücklicher, als ich noch nicht wusste, wie man denkt. Als ich nicht wusste, dass ich existiere. Damals gab es keine Angst. Heute aber ist sie überall, in jedem meiner Gedanken.«
    »Aber das ist nicht wahr! Angst ist nicht alles.«
    »Für mich ist sie das. Würden wir denn jetzt miteinander sprechen, wenn wir nicht beide Angst hätten? Du um dein Volk und um dein Leben. Und ich vor meinem eigenen Ende.« Die Stimme klang gefühllos, doch in ihren Worten lag tiefe Verzweiflung. »Solange ich gehorche, werde ich leben. Wenn die Insel am Erdboden zerbricht, werde ich frei sein und in die Regionen jenseits des Himmels aufsteigen. Ich werde wieder mit dem Aether verschmelzen und teilhaben an seiner Vollkommenheit.«
    »Genau das ist der Unterschied zwischen dir und mir! Ich würde mein Leben für mein Volk geben. Hier und jetzt, auf der Stelle. Das ist ein Gefühl, das du noch nicht kennst, nicht wahr? Sich für andere zu opfern, weil es das Richtige ist.« Wenn sie ehrlich zu sich war, so war das ein Gefühl, das sie selbst bis vor kurzem nicht gekannt hatte. Es verblüffte sie, mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Eingeständnis über ihre Lippen kam. So als hätte sie lange darüber nachgedacht. Dabei hatte sie das gar nicht. Sie ließ ihren Gefühlen freien Lauf, platzte einfach damit heraus.
    »Das wäre eine große Torheit«, stellte das Aetherfragment fest.
    »Du glaubst, dass du genauso denkst wie wir Menschen, aber das ist nicht wahr. Sonst wüsstest du, wovon ich rede.« Große Worte, dachte sie schuldbewusst. Noch vor ein paar Wochen waren ihr Verantwortung und Opferbereitschaft so fremd gewesen wie ihm. Aber sie hatte sich verändert. Sie hatte dazugelernt, hatte sich selbst und ihre Rolle akzeptiert. Wenn es ihr gelang, dies dem Aetherfragment begreiflich zu machen ... Wenn sie es dazu bringen konnte, Verantwortung zu übernehmen, so wie sie selbst, dann gab es vielleicht noch eine Hoffnung.
    Du sprichst mit einem Lichtl, spottete ihre innere Stimme. Mit einer Wolke aus goldenem Dunst! Und da redest du von Opferbereitschaft und Verantwortungsgefühl!
    Vielleicht war es tatsächlich lächerlich. Oder naiv. Aber es war der einzige Strohhalm, an den sie sich klammern konnte.
    Das Aetherfragment ließ sich abermals Zeit mit einer Antwort. Alessia spürte es in ihren Gedanken, auf der Suche nach all den Dingen, von denen sie gesprochen hatte. Es wollte sie betasten wie ein Blinder, der einen Gegenstand mit den Fingerspitzen erforscht. Nach einer Weile zogen sich die fremden Geistfühler abrupt zurück, kehrten sich nach innen und suchten womöglich dort nach etwas, das Alessias Empfindungen ähnelte.
    »Ich verstehe «, sagte es nach einem Schweigen, das ihr endlos

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