Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant

Titel: Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
sich über das Eis schleppten, geborstene Schollen erklommen und bodenlose Spalten umgingen. Noch brannte die Sonne und legte einen Anschein von Wärme über den Gletscher. Doch schon in wenigen Stunden würde der schneidende Wind, der schon jetzt ihre Ohren betäubte und ihre Gesichter er-starren ließ, einen Albtraum aus Frost und Finsternis über sie breiten.
    Einmal nur blickte Wisperwind nach hinten, über die zerklüftete Eislandschaft zu den Spitzen der Trümmerberge. Die Juru kauerten in langen Reihen auf den Überresten des Wracks, die Schädelstränge aufgerichtet, reglos wie heidnische Statuen. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe die Nachhut der Flotte sie passierte. Dann würden sie sich an die Menschen erinnern, die so viele von ihnen erschlagen hatten. Und spätestens wenn das letzte Schiff hinter den Gipfeln verschwunden war, würden die Juru ihre Verfolgung aufnehmen.

Im Aetherlicht
    Das Goldlicht im Herzen der "Wolkeninsel brannte in Alessias Augen, doch es brannte ohne Hitze.
    Draußen musste schon die Sonne aufgehen, doch davon war im Inneren der Wolke nichts zu spüren. Hier unten war es ewig kühl, ewig hell und ewig einsam.
    Ihre Intuition hatte sie wieder zu derselben Pumpe geführt, in der Carpi sie tagelang eingesperrt hatte. Der Abstieg mit ihrem verletzten Bein hatte ihr zu schaffen gemacht. Als sie endlich den Fuß der schmalen Wendeltreppe erreicht hatte, war ihr Hosenbein blutdurchtränkt. Minutenlang hatte sie dagestanden und gewartet, bis das Pochen in der Wunde nachließ. Schließlich, sehr langsam, hatte sie sich in Bewegung gesetzt und war endlich in den Lichtschein des Aetherfragments getreten.
    »Ich bin hier, um mit dir zu sprechen«, rief Alessia in das lodernde Licht im Zentrum der Wolkeninsel. Seine Quelle war nicht auszumachen. Der gewaltige Hohlraum, tief unter der Oberfläche, war derart von gleißendem Goldglanz erfüllt, dass sie ihre eigenen Füße in der Helligkeit nicht mehr erkennen konnte.
    Sie ballte die Fäuste vor Anspannung. »Ich weiß, dass du mich hören kannst! Du kennst mich. Es ist nicht lange her, da haben wir miteinander gesprochen.«
    Sie erhielt keine Antwort.
    Allmählich kamen ihr Zweifel. Hatte die körperlose Stimme im Licht nur in einem Traum existiert, geboren aus Einsamkeit und Verzweifelung? Nein - Unsinn. Die Stimme war da gewesen. Sie gehörte jener geheimen Macht, die den Kurs der Wolkeninsel bestimmte - ein abgespaltenes Bruchstück des Aethers, das die Geschicke der Insel lenkte und zugleich seit einer Ewigkeit ihr Gefangener war.
    »Warum willst du nicht mit mir reden?«
    Sie sah nach oben, aber auch die Rohre der Aetherlei-tungen, die unter der niedrigen Decke dem Mittelpunkt der Wolkenhöhle zustrebten, waren kaum mehr als vage Ahnungen. Sie ähnelten schattenhaften Adern, tief unter der Haut eines Menschen; auch durch sie floss ein Lebenselixier, purer Aether, den die Pumpen aus den Regionen jenseits des Himmels herabsaugten und dem Fragment im Zentrum der Insel zuführten. Niemand außer Alessia wusste von seiner Existenz.
    Ein schrecklicher Gedanke durchfuhr sie. Jetzt, da die Verbindung zum Aether wiederhergestellt war, mochte sich das Fragment verändert haben. Zuvor war es einsam und verbittert gewesen. Beim Absturz der Wolkeninsel hatte der Aether es von seinem Fluss abgeschnitten, verstoßen wie ein Vater sein Kind. Obwohl es doch gerade umgekehrt war: Aus dem Fragment war die Intelligenz des Aethers hervorgegangen, durch die Nähe zum Volk der Hohen Lüfte hatte der Aether zu denken gelernt, hatte sich selbst als lebendes Wesen erkannt. Existiert hatte der Aether schon lange, doch begriffen , dass er existierte, hatte er erst durch die Menschen des Wolkenvolks. Damit hatte das Unheil seinen Lauf genommen.
    Nun aber floss der Aether erneut, das Fragment war wieder eins mit ihm. Bedeutete das, dass es sich auf die Seite des Feindes geschlagen hatte? Der Schattendeuter mochte vorgegaukelt haben, dass er es gewesen war, der den Absturz der Wolkeninsel aufgehalten hatte. Aber das war eine Lüge gewesen. Niemand außer dem Aether selbst hätte die Pumpen wieder zum Laufen bringen können. Und irgendeine Rolle bei alldem musste auch das Fragment gespielt haben.
    »Nun rede schon mit mir!« Sie bewegte sich weiter vorwärts, zögernd zwar, aber entschlossen, sich auf keinen Fall abweisen zu lassen.
    »Was willst du von mir?«
    Leonardo sei Dank! »Erklärungen.«
    »Ich habe dir schon viele Erklärungen gegeben, kleine Alessia. Du

Weitere Kostenlose Bücher