Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
die Hand hoch und barg das Gesicht in der Armbeuge, um nicht zu viel davon einzuatmen. Trotzdem musste er husten, bis seine Kehle sich anfühlte, als hätte er heißen Sand verschluckt. Er bekam kaum Luft, gerade genug, um nicht zu ersticken.
Seine Gedanken kreisten um die fünf Drachen, um Yo-rotau und die anderen, und er ahnte, was das Erlöschen der Helligkeit am Ende des Tunnels bedeutete. Die Öffnung war verschüttet worden, und mit ihr das Plateau, auf dem die Drachen gelegen und ihren Zauber gewirkt hatten.
Hatten sie die Grotte zum Einsturz gebracht und die Wunde in Pangus Leib verschlossen? Er wusste es nicht, wagte auch nicht zu spekulieren, denn der Gedanke erfüllte ihn nicht mit Hoffnung, sondern nur mit Entsetzen. Er hatte Yorotau kaum gekannt, doch die Wahrscheinlichkeit, dass er nun tot war, dass er seines und das Leben der anderen Drachen geopfert hatte, um die Brutstätte der Juru zu versiegeln, traf Niccolo wie der Verlust eines alten Freundes.
Was hatte Yorotau gesagt? Verzweiflung sei die beste Voraussetzung für einen Kampf. Das klang falsch, ganz schrecklich falsch, und wenn es dennoch die Wahrheit war, so traf sie nicht auf Niccolo zu. Einen Moment lang verließ ihn sein Lebensmut, er wollte einfach nur liegen bleiben und warten, bis aus der Dunkelheit der Höhlen eine andere, allumfassende wurde. Er dachte an Mondkind, vor allem aber an Nugua und das, was sie miteinander erlebt hatten. Gerade jetzt, da alles andere unscharf und bedeutungslos wurde, erkannte er eines mit völliger Klarheit: Mit Mondkind verband ihn ein Zauberbann, sonst - nichts? Mit Nugua hingegen hatte er Wochen in der Wildnis verbracht, es gab gemeinsame Erlebnisse, gemeinsame Empfindungen wie Furcht und Freude - und Wut, ja immer wieder Wut. Sie war ein Teil von Nugua und er erinnerte sich gut, dass er selbst vor gar nicht langer Zeit voller Zorn gewesen war, auf das Wolkenvolk, die Gefangenschaft in den Hohen Lüften, sogar auf seinen toten Vater. Aber selbst wenn es nur die Wut wäre, die Nugua und er miteinander teilten, so war dies doch zumindest ein ehrliches, aufrichtiges Gefühl. Und seine Liebe zu Mondkind? Wie echt war eine Empfindung, die ein tiefer Schlaf einfach auslöschen konnte?
Wie lange er so dasaß, während sich um ihn das Grollen des Berges beruhigte und der Staub sich setzte, wusste er nicht. Sein Zeitgefühl hatte ihn längst im Stich gelassen, schon auf dem Weg hierher. Er schien in einem einzigen endlosen Augenblick gefangen.
Irgendwann aber, als er längst keinen Wert mehr darauf legte, entzündete sich sein Überlebenswille von neuem. Vielleicht würde er ja wirklich hier unten sterben, aber noch war es nicht so weit. Noch war ein letzter Funke Kraft in ihm - oder ein allererster neuer? -, und das war genug, um einen Hoffnungsschimmer zu entfachen.
Er wollte sich gerade an dem Felshöcker nach oben schieben, als er zum ersten Mal wieder an das Götterschwert dachte, das noch immer in der Scheide auf seinem Rücken steckte. Silberdorn strahlte eine Wärme aus, die er vorhin in der Lavahitze nicht wahrgenommen hatte. Jetzt aber begriff er, dass die Klinge versuchte ihn am Leben zu halten, genauso wie sie es bei Mondkind getan hatte, wahrend ihrer Flucht vor der Rache des Unsterblichen Guo Lao. Ein feines Pulsieren vibrierte durch seine Schulterblätter und verlieh ihm einen Hauch neuer Stärke.
Er zog die Beine an und rappelte sich auf. Wieder ließ der Staub ihn husten, aber die Luft klärte sich allmählich. Er taumelte herum, schob sich um den Felsbuckel in der Mitte des Tunnels und konnte sich mit seiner Hilfe vage orientieren. Die verschüttete Öffnung zur Lavahöhle musste jetzt in seinem Rücken liegen, und wenn er vorwärtsging, bewegte er sich zwangsläufig in die Richtung, aus der er mit den Drachen gekommen war - jedenfalls solange keine neue Felswand auftauchte und den Beweis erbrachte, dass alle Orientierung an einem Ort wie diesem nur Illusion war.
Mit rasselndem Atem schleppte er sich vorwärts, bis vor ihm ein Lichtpunkt auftauchte: eine einzelne Schuppe, die einer der Drachen auf dem letzten Stück des Weges verloren hatte. Sie hatte sich in einem Spalt am Boden verkantet, ein blattförmiger Hornschild, halb so groß wie Niccolo selbst.
Ächzend versuchte er einen langen Span davon abzubrechen, um ihn wie eine Fackel zu tragen, aber die Schuppe war viel zu hart, um sie mit bloßen Händen zu spalten. Schließlich gab er auf und ließ sie hinter sich im Dunkeln zurück,
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