Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
ein einsames Leuchtfeuer in den schwarzen Tiefen des Gebirges, eine Erinnerung an jene, die hier vorübergezogen und am Lavafall gestorben waren. In ein, zwei Tagen würde ihre Leuchtkraft nachlassen und dann konnte sie ihrem Träger endgültig in die Finsternis folgen.
Niccolos Augen brannten vom Staub und seinen Tränen, aber in der Dunkelheit behinderte ihn das kaum. Er dachte nicht über die nächsten zehn Schritte hinaus. Mit einem Mal ging es wieder bergauf, einen Hang hoch, den unterirdische Fluten vor Jahrmillionen glatt gespült hatten. Beim Abstieg hatten die Drachen Mühe gehabt, nicht vom eigenen Gewicht in die Tiefe gerissen zu werden. Dafür fiel Niccolo der Weg nach oben nun umso leichter. Auf Händen und Füßen kletterte er im Stockfinsteren die Schräge hinauf. Silberdorn sandte weiterhin sanfte Kraftstöße durch seinen Rücken, aber er war nicht sicher, ob sie nötig gewesen wären. In scharfem Gegensatz zu vorhin, als die Gleichgültigkeit ihn gelähmt hatte, peitschte ihn jetzt ein eiserner Überlebenswille diesen Hang hinauf. Durch seinen Kopf geisterten Echos von Yorotaus Drachenstimme, Wortfetzen, die sich neu zusammensetzten, um ihm Mut zu machen und ihn vorwärtszutreiben. Nicht einmal die Angst vor den Juru vermochte ihn aufzuhalten, während er stur immer weiterlief, bis ihn irgendwann ein Fels oder ein bodenloser Schacht aufhalten würden.
Helligkeit flammte auf.
Licht floss den Hang herab auf ihn zu. Im ersten Moment tat er es als Selbsttäuschung ab, als einen Streich, den ihm seine Einbildung spielte. Aber dann wurde aus dem Schimmern des Gesteins eine leuchtende Flut, während über ihm verästelte Drachenkronen auftauchten, gefolgt von wallenden Mähnen in den Farben des Regenbogens. Sechs gewaltige Augenpaare blickten auf ihn herab, golden wie seine eigenen.
»Ich bin es«, brachte er krächzend hervor und flehte insgeheim, dass sie ihn nicht für einen Juru hielten. »Nicco-lo Spini vom Volk der Hohen Lüfte.« So hatte er sich lange nicht mehr genannt, aber nun kam es ohne Zögern über seine Lippen, so als hätte etwas in ihm endgültig akzeptiert, was er war und immer sein würde.
»Niccolo Spini«, rief er noch einmal. »Vom Wolkenvolk.«
»Wir wissen, wer du bist«, antwortete eine grollende Stimme. »Hab keine Angst.«
Niccolo stand schwankend auf und blickte den drei Drachen über dem Felsenkamm entgegen. Zwei verharrten dort oben, aber der in der Mitte schob sich näher heran. Sein Gewicht ließ das Gestein erzittern. »Wir sind hier, um dich zu holen«, sagte er.
Erst einen Augenblick später wurde Niccolo bewusst, was ihm daran so sonderbar erschien. Yorotau hatte Unterstützung herbeigerufen, um gegen die Juru zu kämpfen; das jedenfalls hatte er behauptet. In Wahrheit aber musste der Drache gewusst haben, dass die anderen zu spät kommen würden. Und dass sein Tod unausweichlich war, wenn er die Grotte zum Einsturz brachte.
Yorotaus Gedankensignal an die Drachen seines Clans war kein Appell um seiner selbst willen gewesen. Sein Hilferuf hatte ganz allein Niccolo gegolten. Als sein eigener Tod schon feststand, hatte er Sorge getragen, dass sein menschlicher Begleiter gerettet wurde.
Da verstand Niccolo zum allerersten Mal, warum Nugua so viel mehr von Drachen hielt als von Menschen. Warum sie all das auf sich genommen hatte, um Yaozi und die anderen wiederzufinden. Und was es bedeutete, wenn ein Drache einen Menschen mein Freund nannte, so wie Yorotau es getan hatte.
Treue über den Tod hinaus.
Keine leeren Worte, kein leichtfertig geleisteter Schwur. Sondern eine Ehrlichkeit, so solide wie der Fels dieser Berge.
»Die anderen ...«, begann er. »Sie sind -«
»Sie sind tot«, unterbrach ihn der Drache. »Wir wissen, was geschehen ist.«
»Haben sie ... haben sie die Wunde verschlossen?«
»Der letzte Ruf, den sie uns gesandt haben, war« - ein kaum merkliches Zögern, dann ein tiefes Seufzen - »er war voller Hoffnung. Aber sicher sein können wir nicht. Und es ändert nichts daran, dass der Angriff der Juru begonnen hat.«
Niccolo sah einen schimmernden Fühler des Drachen auf sich zuschweben. »Heißt das, sie haben ihr Versteck verlassen?«
»Tausende von ihnen«, bestätigte der Drache. »Wir haben sie unterschätzt, von Anfang an. Wir glaubten, sie wären nicht mehr als Ungeziefer. Keiner hat damit gerechnet, dass der Aether sie für seine Ziele nutzen könnte.« Der Fühler legte sich um Niccolos Hüfte und hob ihn vom Boden. »Jetzt sind die
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