Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
wusste, dass sie Yaozi und die anderen Drachenkönige zu den Verhandlungen mit den Gildenmeistern begleitet hatte. Aber was war danach aus ihr geworden? Befand sie sich noch oben am Tor, wo mittlerweile - so war es den Drachen übermittelt worden - zwei Flotten Geheimer Händler um den Zugang zu den Heiligen Grotten kämpften? Oder war sie in die Höhlen zurückgekehrt, womöglich gar in die Herzkammer, auf die sich in diesem Augenblick Tausende Ju-ru zubewegten?
Plötzlich machte der Drache unter Niccolo einen gewaltigen Satz nach vorn. Mit einem wütenden Brüllen erreichte er das gegenüberliegende Ende der Höhle und glitt in den Felsengang vor ihnen. Der zweite überlebende Drache folgte ihnen. Niccolo klammerte sich im Geweih fest, während die Drachen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch Gänge und Schächte voller Gegner walzten. Sie zerquetschten die Felsenwesen unter sich und an den Wänden, erschlugen sie mit den Drachenschwänzen oder zermalmten sie zwischen ihren scheunentorgroßen Kiefern.
Schließlich trennten sich die beiden Drachen. Während jener, der Niccolo trug, in eine aufsteigende Abzweigung bog, setzte der andere seinen Weg zur Herzkammer fort, entlang der steinernen Röhren, durch die sich auch die Heerscharen der Juru bewegten.
»Wohin willst du?«, rief Niccolo, doch der Drache gab keine Antwort. Nach einer Weile kamen sie in einen verwinkelten Tunnel, in den die Juru noch nicht vorgestoßen waren. Rechts von ihnen wurde ein breiter Spalt sichtbar, hinter dem eine Schräge aus Geröll und festem Gestein steil nach oben führte. Der Drache senkte das Haupt und bedeutete ihm aus dem Geweih zu Boden zu klettern. Neben dem riesenhaften Maul kam Niccolo schwankend zum Stehen, noch unsicher auf den Füßen von dem wilden Ritt durch die Unterwelt.
»Folge dieser Schräge«, sagte der Drache. »Wende dich dann nach links und bleib immer auf diesem Weg, bis du eine große Höhle erreichst. Du kennst sie bereits - dort befindet sich der Durchgang zur Grotte des schlafenden Menschenmädchens.«
Niccolo blickte dankbar zum riesigen Auge des Drachen empor. Die Nickhäute, die seine goldenen Iris vor Ju~ rustacheln und prasselnden Steinen geschützt hatten, glitten ein Stück weit auseinander. Die dunkle Pupille, größer als Niccolos Kopf, war von tanzendem Goldstaub erfüllt.
»Du hast mir nicht gesagt, wie du heißt«, sagte Niccolo.
Der Drache blinzelte. »Trauerst du um Yorotau?«
»Ja. Natürlich.«
»Dann vergiss, dass wir uns jemals begegnet sind. Mein Name ist ohne Bedeutung. Ehe der nächste Tag vorüber ist, wird jeder von uns genug Grund zur Trauer haben. Belaste dich nicht mit Gedanken an mich. Halte stattdessen Yorotaus Andenken in Ehren während der Zeit, die dir bleibt.«
Niccolo schluckte. »Ich danke dir.«
Der Drache schnaubte eine Aetherwolke aus den Nüstern. »Leb wohl«, drang es grollend aus seinem riesigen
Schlund. Die Nickhäute über seinem Auge schlossen sich, bis nur noch ein schmaler Goldspalt zu sehen war. Staub wallte auf, als seine Schuppen über den Fels scharrten und er sich ohne weitere Worte auf den Rückweg in die Tiefe machte.
Niccolo war noch immer wacklig auf den Beinen und es war verlockend, sich auf Silberdorn zu stützen. Aber die Götterklinge lag schwer in seiner Hand, beinahe zu schwer, und so schob er sie zurück in die Lederscheide auf seinem Rücken. Mit einem letzten Blick auf das schwindende Goldlicht des Drachen begann er den Aufstieg. Bald umgab ihn dichte Finsternis, aber er kämpfte sich blind den Hang hinauf, gelangte schließlich an eine Kante und wandte sich nach links, wie es ihm der Drache geraten hatte.
Manchmal glaubte er, ein Flüstern in seinen Gedanken zu hören, und dann fragte er sich, ob es Silberdorn war, das zu ihm sprach, oder aber der Aether, der erneut versuchte, Macht über ihn zu erlangen.
Verbissen tastete er sich vorwärts, bis die Dunkelheit allmählich einem matten Dämmer wich. Dies musste einer der Hauptwege durch die Dongtian sein, denn nun schälte sich das Glimmen abgestoßener Drachenschuppen aus der Schwärze.
Ihr sterbender Goldglanz leuchtete ihm den Weg zu Mondkind.
Zu spät
Es war viel schlimmer, als Nugua befürchtet hatte.
Als sie vor einigen Tagen die gewaltige Grotte, in der das Diamantherz des Ur-Riesen ruhte, zum ersten Mal betreten hatte, war sie geblendet gewesen von seiner Helligkeit. Auch jetzt, bei ihrer Rückkehr an diesen ungeheuerlichen Ort, hätte sie am liebsten den Blick
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