Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
hatte. Niccolo war irgendwo da draußen in den Höhlen und womöglich brauchte er ihre Hilfe. Erstaunt stellte sie fest, dass dieser letzte Gedanke es leichter machte, sich einzugestehen, dass sie bei ihm sein wollte.
»So oder so«, sagte sie mit heiserer Stimme, »ich kann hier nicht mehr weg.«
»Ich werde einen Drachen finden, der dich zu ihm bringt«, widersprach Yaozi.
»Du brauchst sie alle hier unten.«
»Die Juru können jeden Augenblick hier sein. Sie kämpfen schon an der äußeren Verteidigungslinie. Es spielt bald keine Rolle mehr, wer hier ist und wer nicht.«
Nugua wollte einmal mehr widersprechen, als die Götterlanze in ihren Fingern zum Leben erwachte. Äußerlich veränderte sich nichts, aber sie spürte deutlich ein Pulsieren, das gegen ihre Handflächen pochte. Ein leises, unverständliches Wispern war plötzlich in ihren Gedanken. Sie hatte so etwas schon einmal gefühlt, draußen vor dem Portal, als sie die Lanze auf den Unsterblichen Guo Lao geschleudert hatte, um ihn von Niccolo und Mondkind abzulenken.
»Warum jetzt?«, flüsterte sie.
Die Antwort gaben ihr weder die Lanze noch Yaozi.
Stattdessen ertönte ein vielstimmiges Kreischen am Eingang der Höhle und flutete wie eine vibrierende Woge heran.
Da begriff sie. Die Lanze aus den Schmiedefeuern der Lavatürme, einst erschaffen für die furchtbaren Kriege der Götter, witterte neue Gegner.
»Maromar ist gefallen«, raunte Yaozi.
Die schwarze Flut der Juruhorden quoll in die Grotte und begrub die ersten Drachen unter sich.
Xixati
»Ich habe mich schon gefragt, wann du auftauchst.« Der Wächterdrache versperrte Niccolo den Zugang zu Mondkinds Grotte mit seinem rotgoldenen Schuppenleib. Er war jung für einen seiner Art, erst wenige Hundert Jahre. Seine Drachenmähne war kurz und borstig, ganz im Gegensatz zur mächtigen Haarflut eines Drachenkönigs, und sie wuchs als schmaler Streifen vom Schädel bis zur Mitte seines Leibes hinab. Die einzelnen Haare schimmerten vielfarbig wie Insektenflügel und waren steil aufgerichtet. Vom Schädel bis zur Schwanzspitze maß er kaum mehr als dreißig Meter; im Liegen war sein Körper gerade einmal doppelt so hoch wie Niccolo. Kein Hindernis für eine Heer schar von Juru.
»Ich hatte nicht erwartet, dass du noch hier bist.« Schwer atmend kam Niccolo vor dem Jungdrachen zum Stehen, eine Hand in die Seite gepresst, während ihm der Schweiß in Strömen übers Gesicht lief.
»Yaozi hat mir befohlen, mich nicht von der Stelle zu rühren«, sagte der Drache ergeben. »Also liege ich hier und rühre mich nicht.«
»Aber alle wurden hinunter in die Herzkammer gerufen!«
»Nicht ich.« Der Drache seufzte. »Warum bin ich wohl als Wächter vor dieser Höhle postiert worden? Meine Magie ist noch schwach. Ich bin jung und entbehrlich.«
Niccolo schüttelte den Kopf. »Das bist du nicht! Und du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dich hier zu sehen.«
Der Drache hob eine Augenbraue. »Dann werden wir ihnen also einen anständigen Kampf liefern, wenn sie kommen?«
»Das werden wir.« Niccolo wog Silberdorn in der Hand, aber noch zeigte das Götterschwert keine Anzeichen einer nahenden Gefahr.
»Mein Name ist Xixati«, sagte der Jungdrache. Seine armdicken Fühler wuselten aufgeregt über den Boden.
»Ich bin Niccolo. Ist Mondkind -«
»Alles unverändert«, brummte Xixati. »Ich habe mir gewünscht, sie wäre aufgewacht. Wache halten ist so schrecklich ermüdend, wenn niemand da ist, mit dem man reden kann.«
Niccolo trat in den Glanz der goldenen Schuppen. Xixatis Fühler berührte ihn sachte an der Brust, als wollte er ganz sichergehen, dass Niccolo wirklich derjenige war, der er zu sein schien. Dann wälzte er seinen Leib ein Stück zur Seite, damit Niccolo durch den Spalt ins Innere der Grotte schlüpfen konnte.
Rund um das Felspodest im Zentrum der Höhle glühte ein Kreis aus Drachenschuppen. Die alten hätten längst erloschen sein müssen. »Sind das deine?«, fragte Niccolo über die Schulter.
»Von der Decke gefallen sind sie jedenfalls nicht. Ich dachte, sie ist immerhin ein Mensch und fürchtet sich vielleicht im Dunkeln ... auch wenn sie schläft.« Xixati atmete tief durch. »Man weiß ja nie, bei euch blassen, schuppenlosen Würmern.«
Niccolo konnte sich nicht erinnern, wann ihm zum letzten Mal nach einem Lächeln zu Mute gewesen war. Er war Xixati dankbar, und nicht nur für das Licht rund um Mondkinds Lager.
Er trat neben sie und stellte fest, dass sich in
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