Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
waren.
Vor ihr formte sich aus der Wolkendecke der Höhle ein wabernder Schlauch, der aufwärts zur Oberfläche führte. »Geh«, sagte die Stimme noch einmal. »Dir bleibt kaum noch Zeit.«
Da zerriss etwas in ihr und all die aufgestauten Emotionen schlugen über ihr zusammen. Es brach ihr das Herz, als sie loslief. Aber sie schaute sich nicht um.
Dunkelheit folgte ihr, als das Goldlicht in ihrem Rücken allmählich erlosch.
»Es hat aufgehört«, sagte Xixati und hob langsam den Schädel aus dem Hohlraum inmitten seines aufgerollten Drachenleibes.
Niccolo hörte es kaum. Stattdessen spürte er, wie sich Mondkind in seinen Armen regte.
»Xixati!«, rief er aus. »Sie wacht auf! Mondkind wacht auf!«
Der Jungdrache stöhnte. »Als hätten wir nicht schon genug Ärger.«
Ihre Augenlider flatterten. Ein Schatten huschte über ihr blasses, herzförmiges Gesicht. Ihre Lippen waren trocken und rissig geworden. Als sie versuchte sie zu öffnen, sah es aus, als hätte sie Schmerzen dabei. Im Goldlicht von Xixatis Schuppen zitterte ihr Kinn und ihre Finger schlossen sich um Niccolos Hand.
Sein Herz hämmerte, als wollte es vor Aufregung zerspringen. Für einen Moment fiel es ihm schwer, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Er verspürte nur eine ungeheure Erleichterung, dass er wieder mit ihr sprechen konnte, dass sie nicht länger nur dieser leblose Körper auf einem Steinblock war, greifbar nah und doch weiter entfernt als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt, seit sie einander begegnet waren.
Zitternd hoben sich ihre langen schwarzen Wimpern.
»Niccolo«, flüsterte sie.
»Ich bin hier«, sagte er heiser und streichelte mit der linken Hand ihre Wange. Seine Rechte hielt Mondkind noch immer mit ihren kühlen Fingern umklammert. »Ich bin bei dir.«
Einen Moment lang schienen die Augen, die unter ihren Lidern zum Vorschein kamen, seltsam leer und glänzend. Dann aber löste sich ein milchiger Schleier wie Nebel von ihren Pupillen, sie stöhnte leise - und blickte ihn voller Wärme an.
»Ja«, raunte sie. »Du hast versprochen, dass du da sein würdest, wenn ich aufwache.«
Ich war immer da, hätte er beinahe gesagt. Aber dann fühlte er sich schuldig, weil das nicht die Wahrheit war. Tatsächlich verstand er es selbst nicht mehr. Wie hatte er sie auch nur für eine Minute allein in dieser kalten, dunklen Grotte zurücklassen können? Er liebte sie doch. Hatte sie immer geliebt. Würde sie immer lieben.
Die Schlingen von Xixatis Leib bewegten sich. Noch immer bildeten die goldenen Windungen des Drachen ein schützendes Zelt über ihnen. Xixati blickte sich wachsam außen um und brummelte in der Drachensprache vor sich hin.
»Bin ich ... gesund?« Mondkind klang benommen, so als wäre ein Teil von ihr noch nicht gänzlich erwacht. »Ich fühle mich so ... seltsam.«
»Es ist eine Menge passiert in den letzten Tagen.«
»Er ist da.«
»Er?«, fragte Niccolo und wusste doch genau, wen sie meinte.
»Überall. Ist. Er.«
Natürlich, er spürte es auch. Und plötzlich fragte er sich, ob es wirklich ein gutes Zeichen war, dass sie erwacht war. Und, noch wichtiger, was sie geweckt hatte.
War sie wirklich geheilt? Hatte der Zauber der Drachen gewirkt? Oder steckte vielmehr der Aether dahinter, der plötzlich wieder Macht über sie erlangte?
Die Wunde in ihrer Seite blutete schon eine ganze Weile nicht mehr. Frische weiße Seidenlagen hatten sich da-rübergeschoben, die dunklen Flecken waren fast vollständig verblasst.
Gegen die Macht des Aethers aber bot auch ihr magisches Gewand keinen Schutz. Selbst Xixatis Drachenleib konnte sie bestenfalls vor weiterem Steinschlag bewahren, nicht aber vor dem goldenen Dunst, der die Heiligen Grotten erfüllte.
Ihre Augenlider bebten wieder. »Ich fühle mich anders.«
War der Liebesbann wirklich erloschen? War es das, was sie spürte?
»Die Drachen haben gesagt -«, begann er, brach dann aber ab. Er wagte es nicht, sie auf den Bann anzusprechen. Noch nicht. Der Heilschlaf hatte ihre Wunde verschlossen. Vielleicht den Einfluss des Aethers gemindert, sogar ihre Sucht nach Mondlicht kuriert. Aber ihre Liebe zu Niccolo? Da musste doch mehr gewesen sein als nur eine Macht von außen, die ihnen aufgezwungen worden war. Er fühlte es selbst ganz genau. Konnte ein so komplexes Gefühl wie Liebe zwischen zwei Menschen auf einen Schlag nur noch einseitig existieren? Spielte es wirklich eine Rolle, was sie hervorgerufen hatte? Und konnte man überhaupt sicher sein, was wirklich
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