Das Wolkenvolk 03 - Drache und Diamant
Wunschdenken dahinter - Xian hin oder her, nicht einmal Guo Lao war allwissend, und das hier musste selbst für ihn eine neue Erfahrung sein.
Doch in Anbetracht der Tatsache, dass der riesige Brocken unter ihren Füßen immer weiter aufwärtsstieg und die Abendstern ihre einzige Hoffnung blieb, hatte Wisperwind nur die Schultern gezuckt, als der Unsterbliche vorgeschlagen hatte, sie nacheinander an Bord des Luftschiffs zu tragen - vorausgesetzt, es war nicht längst von den treibenden Überresten der Himmelsberge zerschmettert worden.
Nun war sie allein und konnte nichts anderes tun, als abzuwarten, ob Guo Lao irgendwann wieder auftauchen würde, um auch sie von hier fortzubringen. Sie hoffte für Feiqing, dass die beiden die Abendstern gefunden hatten; für sich selbst hingegen wünschte sie überhaupt nichts mehr. Sie hatte keine Angst vor dem Tod, erst recht nicht angesichts dieser Katastrophe. Die Welt hatte sich in ihre Bestandteile aufgelöst. Durch wirbelnde Sandschwaden und Schwärme taumelnder Felsbrocken konnte sie tief unter sich eine verschwommene Dunkelheit ausmachen. War das ein Abgrund, der sich unterhalb des zerstörten Gebirges aufgetan hatte? Oder gar ein gähnendes Nichts, das weder Teil dieser noch irgendeiner anderen Welt war, nur eine wabernde Ursuppe, aus der Pangu etwas Neues erschaffen würde, sobald sich die Reste des Alten verflüchtigt hatten?
Antworten darauf gab es keine und sie verlor mit jeder Minute ein wenig mehr das Interesse daran. Sich mit dem eigenen Ende abzufinden fiel ihr nicht schwer - tausendmal war sie dem Tod begegnet, er war ein Weggefährte, der ihr während ihrer Wanderungen wie ihr eigener Schatten gefolgt war. Sie hatte längst aufgehört zu zählen, wie oft er sie beinahe eingeholt hatte. Dabei war es gar nicht so, dass sie sterben wollte. Doch falls es heute so weit wäre, nun, dann war sie bereit.
Der Felsbrocken rotierte langsam um sich selbst, während er immer höher stieg. Wisperwind fand eine Spalte, die sich bei der Kollision mit dem kleineren Trümmerstück aufgetan hatte. Behände glitt sie hinein. Den Rücken presste sie gegen die eine Wand, die Füße gegen die andere. Das verlieh ihr genug Halt und sie konnte für einen Augenblick innehalten, durchatmen und hinaus in das tosende Chaos blicken.
Sie hatte Pangu schon früher gesehen, halb verborgen hinter den Schwaden der Apokalypse, doch nun wagte sie erstmals ihn länger zu betrachten. Sie erkannte nicht mehr als einen Teil von ihm. Seine Beine verschwanden irgendwo in dem wirbelnden Dunkel und sie wusste nicht, ob er mit den Füßen auf dem Erdboden stand oder tief in der Erde. Oder, genau genommen, ob überhaupt noch eine Erde existierte, irgendwo dort unten.
Auch wie hoch sie selbst auf ihrem schwebenden Felsen aufgestiegen war, blieb ihr ein Rätsel. Fest stand, sie befand sich in etwa auf Höhe von Pangus Brust, und obwohl sie einige Kilometer von ihm entfernt sein musste, füllte sein gewaltiger Torso ihre ganze Sicht aus, sobald sie in seine Richtung blickte. Sein Umriss war grob geformt wie die Körper von Maginogs Riesen, wenn auch ungleich gigantischer. Sein Schädel ragte so hoch über ihr empor, dass sie gerade noch ausmachen konnte, wo sich seine Schultern zum Hals verengten, vernebelt von tosenden Trümmerströmen. Pangus Kopf aber lag jenseits davon, eine finstere Masse wie ein erkalteter Mond.
Jener Teil seines Oberkörpers, den sie am deutlichsten erkennen konnte - das, was bei einem Menschen der Brustkorb gewesen wäre -, hatte eine grobe, poröse Beschaffenheit, durchzogen von Spalten und Löchern. Sie begriff, dass Pangu nicht einfach nur unter den Bergen begraben gewesen, sondern während seines äonenlangen Schlafes ein Teil von ihnen geworden war. Anders als Ma-ginog, dessen Haut wohl nur aussah wie Fels, war Pangu tatsächlich zu dunklem Granit versteinert. Vermutlich war das der Grund, warum er vollkommen unbewegt dastand wie ein Gebirgsmassiv, das aus unbegreiflichen Gründen die Gestalt eines Menschen angenommen hatte.
An einer Stelle seines Torsos klaffte ein Spalt, der größer war als die übrigen Risse und Höhlen, die ihn wie Pockennarben bedeckten. Daraus ergoss sich ein Schwall glühender Lava wie Blut aus einer Wunde und stürzte als endloser Strom in die Tiefe, bis selbst ihre Glut sich in dem Chaos verlor. Aus der Ferne war es kaum mehr als ein leuchtender Faden, der da aus der grauschwarzen Masse des Riesenleibes floss, doch Wisperwind ahnte die Wahrheit: Was
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