Das Wolkenzimmer
ihm in den Vorraum gefolgt.
Er sieht sie unschlüssig an. »Willst du auch Postkarten verkaufen?«
Sie zuckt mit den Achseln. »Warum nicht?«
»Gut«, sagt er und erklärt ihr, was sie wissen muss. So viel kosten die Karten, so viel die Broschüre, aber die wird selten verlangt, so viel bezahlen die Erwachsenen für den Blick vom Kranz und so viel die Kinder. Gruppenrabatt gibt es auch. Wechselgeld ist in der Kasse.
»Du hast nicht viele Besucher zu erwarten bei dem Regen«, sagt er. »Führungen wurden auch nicht angemeldet. Ich glaube, du kommst klar, hm?«
»Sicher«, sagt Veronika. Sie mustert ihn mit unverhohlener Neugier.
»Noch eins...« Er zögert. »Es ist unwahrscheinlich, ganz unwahrscheinlich, bei diesem Wetter, aber... gib trotzdem Acht. Schau dir die Leute genau an. Wenn du bei einem eine Gänsehaut kriegst, gehst du ihm nach.«
»Wieso...?«
»Männer kommen eher infrage als Frauen.«
»Wofür?«
»Für das, was du vorhattest.«
Veronika zuckt zusammen.
Der Amerikaner lächelt knapp. Dann zeigt er ihr eine Schalttafel. »Wenn du mich brauchst, drückst du hier. Es ist ein Licht. Zehn Minuten später bin ich da. Die Schlüssel nehme ich mit, ich schließe jetzt erst einmal unten auf.«
Er verhält sich so merkwürdig, dass Veronika nicht wagt, ihn zu fragen, wohin er überhaupt geht.
»Ach ja, Rowdys lässt du nicht auf den Kranz, Jungs, denen Unsinn zuzutrauen ist. Einmal saß einer rittlings auf der Balustrade...«
Veronika schlägt die Hand vor den Mund.
»... und die anderen johlten. Ein Mutbeweis.«
Sie fühlt, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weicht, und ihre Ohren fangen zu sausen an.
»Ist dir nicht gut?«
»Haha«, sagt sie bemüht. »Ist schon vorbei.« Es ist nicht vorbei.
»Wenn das Telefon läutet, nimmst du nicht ab, außer bei dieser Nummer.« Er schreibt sie auf den Notizblock. »Es ist das Rathaus. Sag ihnen, ich sei einkaufen und du hieltest hier so lange die Stellung. Sag, was du willst, aber denk daran, sie wissen nichts von dir. Sei klug, wenn du nicht weggeschickt werden willst.«
Sie horcht ihm hinterher, als er hinunterstapft. Das Glöckchengebimmel begleitet ihn kurz, dann ist es oben völlig still, und auch seine Schritte verlieren sich allmählich. Veronika schaltet den Monitor ein. Ein Monitor ist zur Überwachung da; aber gehört es sich, den Amerikaner selbst zu überwachen? Sie wartet lange und angespannt darauf, dass er in den Bereich der Kamera kommt, und beobachtet dann, wie er die Tür aufsperrt, die Tafel hinausträgt und wieder zurückkehrt. Das Lunchpaket hat er nicht bei sich, aber eine Zeitung. Er schaut beim Heraufsteigen in die Kamera, und Veronika fühlt sich ertappt. Nach ein paar weiteren Schritten ist er aus dem Bild.
Sie atmet auf. Wenn sie vorher kalkig war, so spürt sie jetzt eine gewisse Wärme in den Wangen. Wieso aber kam der Mann zurück? Er hat von zehn Minuten gesprochen, in zehn Minuten kann er heraufsteigen - bleibt er nicht draußen?
Sie wartet. Sie hört nichts. Sie fixiert den Monitor. Niemand. Keiner kommt. Aber es geht auch keiner. Der Mann ist im Turm.
Die ersten Besucher gehören einer japanischen Reisegruppe an, wie könnte es anders sein. Veronika verkauft Karten. Aber die Wissbegier dieser Männer - Frauen sind nicht dabei - kann sie leider nicht befriedigen, sie weiß nichts über den Turm und nichts über die Stadt.
»Ich mache nur Ferienarbeit«, sagt sie und merkt nun, dass es mit dem Verkauf von Tickets nicht getan ist. Was für eine blöde Situation! Was hat der Amerikaner, was hat Mr James sich eigentlich dabei gedacht?
Die Männer schauen befremdet drein, der japanische Reiseleiter blickt sie rügend an.
Da platzt ihr der Kragen. »Sie haben noch Glück mit mir! Sonst sitzt hier ein verrückter Amerikaner!«
»Oh«, sagt der Reiseleiter und kauft schließlich, um sich zu informieren und sie zu besänftigen, eine Broschüre. Da kaufen vier weitere Männer das Heft.
»Warum lesen Sie das nicht?«, fragt der Reiseleiter so höflich, dass man den Vorwurf kaum hört.
Weil es mich nicht wirklich interessiert, möchte Veronika antworten. Stattdessen nimmt sie den Flaschenöffner, der an einer Schnur hängt, und wickelt sich das Ende der Schnur um den Finger. »Weil mich was anderes interessiert. Schauen Sie mal, wie stark der Turm schwankt. Sie haben es wahrscheinlich schon gespürt?«
Sie steht da, von den aufmerksamen Japanern umgeben, und konzentriert sich auf das Pendel in ihrer Hand. Man kann
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