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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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am Morgen nach dem Angriff hingelaufen, wie andere Kinder auch. Er war der Einzige mit einem gelben Stern auf dem Mantel und das war schlimmer als zwei Nasen im Gesicht. Er hat sich abseits gehalten und ist bald wieder heimgegangen, und Tante Kühn hat geschimpft, dass er noch Unglück über die ganze Familie bringen wird, wo man doch sowieso nirgendwohin darf und jetzt auch noch den Stern trägt.
    Die Bomber kommen. Man hört sie nur, man sieht sie nicht, es ist bewölkt. Jascha hat nun doch Herzklopfen.
    »Lübeck, das ist ja weit weg«, murmelt der Einarmige. »Essen auch. Aber jetzt haben sie Augsburg am helllichten Tag bombardiert und Augsburg ist nicht weit weg. Gefährlich wird’s für uns, wenn sie zurückkommen und noch nicht alles abgeworfen haben.«
    Trotzdem bleibt er bis zur Entwarnung ruhig stehen und Jascha hört nur sein eigenes Herz klopfen.
    »Abmarsch ins Bett«, sagt der Einarmige endlich.
    Er hat den Strohsack schon in der zweiten Nacht aus der Türmerstube geholt und bis vor die Treppe getragen. »Wir schlafen hier«, hat er gesagt. »In der Stube überhöre ich vielleicht, wenn jemand kommt. Man kann nie wissen.«
     Am Tag nach dem nächtlichen Alarm passiert es, dass Jascha im Kamin einschläft. Er wacht von einem ungewohnten Geräusch auf: Der Einarmige wiehert.
    »Ratten? Ratten im Turm? Dass ich nicht lache!«
    Das ist so seltsam, dass Jascha die Haare zu Berge stehen wollen, aber die Mütze drückt sie an den Kopf. Er liegt verkrümmt in seinem Kaminloch und würde sich gern aufrichten, aber da draußen muss noch eine zweite Person sein.
    Denn der Einarmige redet weiter: »Keine Ratten.Vögel  haben wir! Die Falken gehen ja noch, aber die Tauben, die fliegen rein, wo sie können, und scheißen alles voll.«
    Da hört Jascha eine andere Stimme und es ist die vom Stadtpolizisten Steidle. »Das hat sich eher wie eine Ratte angehört. Aber du musst es ja wissen. Wenn du sagst, es sind die Tauben, dann sind es die Tauben. Du bist hier der Chef. Doch, doch. Hier bist du der Chef, Leo.«
    »Komm mit in die Stube«, sagt der Einarmige. »Wenn du schon mal heraufsteigst, Hans. Ich hab noch einen guten Tropfen...«
    »Nein, keine Zeit. Ich bin im Dienst. Ich soll dir sagen, dass du weiterhin jeden Buben genau anschauen sollst. Die haben den Burschen nicht gefunden. Der Bannführer hat mit seinen Hitlerjungen die Dörfer durchkämmt, weil der Sonderkommissar glaubt, dass sich der Jude auf dem Land versteckt. Aber es kann ja sein, der kommt zurück, und wie’s der Teufel will, auf den Turm. Pass also gut auf, Leo. Den Schlüssel fürs Dach soll ich dir wiedergeben, du bist schneller dort, wenn’s brennt. Der Kommissar kennt dich ja nicht, der ist ein SD-Mann von auswärts und hat so seine Vorstellungen. Wenn der Bursche also, sagen wir: durch Nachlässigkeit ins Dach gekommen wäre, dann hätte sich das inzwischen erledigt, so lange überlebt keiner ohne Nahrung. Und deshalb soll ich dir den Schlüssel zurückbringen.«
    Jascha hört das vertraute Klirren des Schlüsselbundes. Jetzt fädelt der Einarmige wahrscheinlich den Schlüssel wieder ein.
    »Lass dir helfen«, sagt der Stadtpolizist Steidle.
    Und da passiert wieder etwas Merkwüdiges: Der Einarmige, der fast alles perfekt allein kann, widerspricht nicht. Im Gegenteil, er sagt: »Mit nur einer Hand bist du ein ganz armes Schwein, kannst fast nichts machen, du siehst es ja, Hans.«
    »Sei froh«, sagt der Stadtpolizist Steidle, »sonst hätten sie  dich eingezogen. Ein Arm ist zu verschmerzen. Sogar ein Bein. Und das Vaterland kann man in der Heimat genauso gut verteidigen. Man darf nur keinen Fehler machen. So, jetzt hast du deine Schlüssel wieder komplett, Leo.«
    Er schnauft beim Reden, es muss ihn sehr angestrengt haben, den ganzen Turm hochzusteigen.
    »Auf ein Glas könntest du ja...«
    »Nein, wirklich nicht.« Die Treppenstufen knarren bereits unter dem Gewicht des Stadtpolizisten Steidle. »Ich muss zu den Judenhäusern, die Kreisleitung interessiert sich für eines. Da treffen nachher ein paar Leute ein. Ausmisten, aber die Wertsachen nicht anrühren, lautet der Befehl, und unten wartet der Offiziant auf mich.«
    »Kannst dem Bühler gleich sagen«, ruft ihm der Einarmige nach, »dass er mir heute Abend mit dem Eimer helfen muss!«
    »Ich sag’s ihm. Mach dich aber darauf gefasst, Leo, dass der oben an die Spindel will und dich runterschickt! Der hat letztes Mal ganz schön gestunken!« Der Stadtpolizist Steidle lacht vom

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