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Das Wolkenzimmer

Das Wolkenzimmer

Titel: Das Wolkenzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irma Krauss
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sitzt Jascha im Kamin, die Mütze über dem weißen Verband. Er steckt in einem Sack, in dem vorher Tannenzapfen waren, nur sein Kopf schaut heraus. Wenn sich jemand bückt und die rostige Kamintür aufreißt, sieht er einen halb leeren Sack und ein paar verstreute Tannenzapfen.
    »Das muss genügen«, hat der Einarmige gesagt. »Tu keinen Schnaufer, wenn dir dein Leben lieb ist, und lass keinen Furz.«
    Jascha hat ein bisschen gekichert. Da hat ihn der Einarmige, der vor dem Kamin kniete, angefahren: »Und schlaf bloß nicht ein! Sonst merkst du es nicht, wenn du dich bewegst!« Er hat die Tür geschlossen und verriegelt und ein paar Holzscheite davorgeworfen, dass es knallte.
    Jascha kichert nicht mehr. Die Dunkelheit ist vollkommen, kein Schimmer kommt von oben. Der Rauchfang führt schräg in den eigentlichen Kamin, der sehr hoch sein muss, da über der Türmerstube noch zwei Stockwerke liegen.
    »Es kann ein Brotbackofen gewesen sein, was weiß ich«, hat der Einarmige gesagt, und Jascha denkt an einen Brotlaib, und was mit dem passiert, wenn die Eisentür verriegelt wird. Immerhin ist kein Feuer an.
    Heute bleibt auch der Kachelofen in der Türmerstube kalt, für alle Fälle. Könnte ja sein, dass sich eine Rauchschwade verirrt.
    »Dann wäre ich alle Sorgen los«, hat der Einarmige geknurrt.
    Es ist der schlimmste Ort, an dem Jascha sich je versteckt hat, und er hätte nie gedacht, dass er sich nach dem Kirchendachboden sehnen könnte. Schon als ihn das erste Morgenlicht geweckt hatte, fand er den Einarmigen draußen im Vorraum mit dem Kaminloch beschäftigt und erfuhr, dass er da hineinmüsse, sobald irgendjemand heraufkäme, spätestens aber vor dem Läuten der Morgenglocke, und dass er sich bis zum Abend nicht rühren dürfe und vielleicht noch länger.
    Jascha hat Klimmzüge an einem Balken gemacht, um zu beweisen, dass er genügend Kraft besitzt und über die Seilschlinge in den Dachboden zurückkehren kann. Aber da fing die Stirnwunde wieder zu bluten an.
    Der Verband musste erneuert werden, und der Einarmige sagte: »Das schaffst du noch nicht.« Er hatte Mühe mit dem Verband, denn die Wunde ist genau am Haaransatz und die Haare waren dort völlig verklebt und verkrustet. Jetzt kam neues Blut hinzu. Mit Kinn und Mund und Knie und Ellenbogen hat der Einarmige sich geholfen.
    Jascha nimmt den Arm aus dem Sack und fasst sich vorsichtig an den Kopf. Schwer und stramm fühlt sich das alles an. Hoffentlich heilt die Wunde ganz schnell. Bis zum Abend oder spätestens über Nacht.
    Die Uhr schlägt sieben, gleich darauf läutet die Morgenglocke. Jascha spürt das Beben des Turms. Er starrt in die Finsternis und versucht, wenig zu atmen. Hoffentlich kommt durch den Rauchfang genügend Luft. Es ist nämlich so, dass man gerade dann, wenn man wenig atmen will, viel Luft braucht. Er hat das Gefühl, die Luft nimmt ab. Soll er schreien, solange er noch kann?
    Jetzt kommt der Einarmige zurück. Er war sicher nicht ganz unten, er hat noch nicht aufgesperrt, es ist bestimmt ungefährlich, wenn Jascha sich bemerkbar macht...
    Aber wenn es ein anderer ist, der die Treppen heraufsteigt?
    Oder wenn der Einarmige ihn hinauswirft, weil er nicht gehorcht hat?
    Jascha presst die Lippen aufeinander, er versteift die Arme, die Beine und das Kreuz, er gibt keinen Piep von sich.
    Auch nicht, als jemand die Holzscheite wegstößt und sich an den Riegeln zu schaffen macht. Wenn Jascha nicht schon erstarrt wäre - jetzt würde er zu Stein werden, denn es kann nicht der Einarmige sein, der würde doch etwas sagen.
    Die Eisentür geht auf, Helligkeit fällt herein, Jascha ist ein halb leerer Sack Tannenzapfen, nur sein Kopf nicht, aber den sieht man nicht, denn er ist im Rauchfang, allerdings platzt er fast, so heftig schlägt der Puls.
    »Lebst du noch?«, flüstert der Einarmige.
    »Ja.«
    »Wollte nur sehen, ob du nicht die Nerven verlierst. Musst du noch mal auf den Eimer? Ich schließe jetzt nämlich unten auf!«
    Jascha muss auf den Eimer. Schon um sich noch einmal bewegen zu dürfen. Der Eimer stinkt. Aber das kennt er schon vom Judenhaus, dort lebten zu viele Menschen, und immer waren die Eimer voll.
    Danach kriecht er wieder in den Kamin. Ein kleiner Junge wie er hat gerade darin Platz. Es ist nicht angenehmer geworden als vorher, es ist noch genauso schlimm, aber Hermann wäre zufrieden mit ihm, denn unsichtbarer kann man nicht mehr werden. Höchstens im Grab. Aber das ist kein guter Gedanke.
    Jascha macht die Augen zu. Bei

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