Das Wort des Hastur - 12
alle anderen Kinder in ihrem Alter, und auf ihrer glatten, hellen Haut zeigte sich keine einzige Sommersprosse. Die Jungs fanden sie einfach nicht drall genug und ließen sie daher in Ruhe, aber einige der älteren Männer verfolgten sie manchmal mit merkwürdigen Blicken.
Briana stieg eine Leiter hinab und ging bis ans Ende des breiten Mittelgangs der Scheune. »Guten Morgen, meine Damen«, begrüßte sie die Kühe und legte jedem der schwerfälligen und triefäugigen Tiere etwas Heu in die Futterkrippe.
Sie drehte sich um, als ein kleiner Junge mit hellen Augen von außen ein loses Brett zur Seite schob, sich durch die so entstandene Lücke zwängte und dann polternd auf sie zugelaufen kam.
»Hallo Briana! Ich hab’ mich ganz alleine angezogen«, verkündete er stolz. »Darf ich ihnen heute den Hafer geben?«
»Na schön, aber jedem nur eine Kelle voll.« Sie schenkte ihrem kleinen Helfer, dem fünfjährigen Nathan, ein nachsichtiges Lächeln. Der Junge mit dem rotblonden Wuschelkopf war für sein Alter viel zu klein und schwächlich; außerdem hatte er einen verwachsenen Fuß. Bevor er Briana traf, hatte er selbst schon geglaubt, er sei mißgebildet und nichts wert. Und obwohl er noch so jung war, wünschte sich Nathan doch nichts sehnlicher, als gebraucht zu werden und seinem Clan nützlich zu sein. Aber seine Schwäche und der hinkende Gang hatten ihn immer wieder verzagen lassen. Briana ermutigte ihn und übertrug ihm kleine Aufgaben, ohne dabei jenen Anflug von Mitleid zu zeigen, das er bei anderen immer spürte. Und so hatte er durch die Arbeit bei Briana und den Tieren ein gewisses Maß an Stolz und Selbstachtung entwickelt.
»Mach schon Platz, Maggie. Und du auch, Bethany.« Briana klatschte den zwei Kühen mit der flachen Hand auf die Flanken und stemmte sich so lange mit ihren Schultern gegen sie, bis die beiden richtig standen, um angebunden zu werden.
»Jetzt bin ich soweit, Nathan. Bringst du mir bitte den ersten Kübel.« Sie angelte sich einen Melkschemel vom Haken und ging damit zur ersten der wartenden Kühe. Der kleine Junge, der auf der anderen Seite der Krippe stand, reichte ihr stolz den leeren Eimer.
»Heute fangen wir mal mit dir an, Eleanor.« Briana klemmte sich geschickt den einbeinigen Schemel unter und stellte mit der anderen Hand den Eimer an seinen Platz. Dann senkte sie den Kopf und lehnte ihn gegen die wärmende Seite des Tieres. Dabei übermittelte sie der Kuh instinktiv ein Gefühl der Ruhe und Zufriedenheit, so daß sich deren Euter entspannte. Briana war sich ihrer ganz besonderen Begabung noch gar nicht bewußt. Sie streichelte die Zitzen und massierte ganz leicht das Euter und merkte dabei nicht einmal, daß sie das Tier auch mit ihrem noch nicht voll entwickelten Laran beruhigte.
Mit Daumen und Zeigefinger hielt Briana eine Zitze fest, während ihre anderen vier Finger den ersten Strahl warmer Milch so geschickt herausdrückten, daß er zielsicher im weit geöffneten rosa Maul des alten Katers landete, der unter dem Bauch der Kuh schon auf seine Mahlzeit wartete.
»So, Tom, das ist für dich. Du bist hier unser Vorkoster.« Der Scherz hatte durchaus seine ernsten Seiten. Ab und zu konnte es vorkommen, daß eine Milchkuh beim Grasen auf der Weide auch etwas giftigen Schlangenwurz rupfte, und dann war es besser, eine Katze als ein Clanmitglied zu verlieren.
Nathan konnte sein ansteckendes Kichern nicht länger unterdrücken. »Er sieht so komisch aus! Wie ein Clown beim Mittwinterfest.«
Tom leckte sich die Schnauze und strich sich mit der Pfote über die Schnurrhaare. Die anderen Katzen, die nicht so mutig wie der alte Kater waren, krochen etwas näher und maunzten ungeduldig. Sie wußten, daß auch sie bald etwas abbekommen würden.
Briana hatte inzwischen ihren Arbeitsrhythmus gefunden. Unter ihren geschickten Fingern schäumte bald die Milch im Eimer. Es war schon lange her, daß sie sich über die brennenden Schmerzen im Unterarm beklagt hatte, weil sie beim Melken Muskeln in Arm und Hand brauchte, die sie zuvor nie beansprucht hatte. Mittlerweile war sie stark geworden und der Melkrhythmus war ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
Nathan war um die Krippe herumgelaufen und hatte sich zu ihr gesellt, hielt aber noch genügend Abstand, um keinen Huftritt abzubekommen. Argwöhnisch wartete er mit einem neuen Eimer.
»Warum mußt du eigentlich in der Scheune wohnen?«, fragte er unschuldig und doch auch ein wenig altklug.
»Ich muß ja gar nicht, ich darf«,
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