Das Wort des Hastur - 12
bei dem mühsamen Versuch aufzustehen. Aber es half alles nichts – jemand wich nicht von seiner Tür und bestand darauf, ihn zu sehen.
Ist schon gut, ich komme ja schon. Er schlug mit den Beinen die Decke zurück und setzte sich, den Kopf in Händen gestützt, auf die Bettkante. Bei dem pochenden Schmerz hinter seinen Schläfen konnte er sich kaum konzentrieren. Dennoch gelang es ihm, mit einer flüchtigen Gedankenverbindung zu erfahren, wer sein Besucher war.
Dyan? Was machte sein Freund am hellichten Tag hier vor seinem Gemach, wenn alle anderen vernünftigen Matrixarbeiter noch schliefen? Ari schüttelte den letzten Schlaf ab, richtete seine Gedanken ganz auf den Freund und teilte ihm durch diese Verbindung mit: Ich bin wach, Dyan. Du kannst hereinkommen.
Die Tür öffnete sich und Dyan Syrtis trat ein.
»Gerechte Götter, wie siehst du denn aus?« meinte Dyan, nachdem er seinen Freund kurz gemustert hatte. »Was haben sie denn mit dir angestellt?«
Ari stöhnte. Er wußte nur zu gut, welchen Anblick er bot: das Gesicht aschfahl, die Augen tief eingesunken, das Haar ungekämmt und zerzaust. Leander Aillard, Oberster Bewahrer des Turms, hatte ihm ein mörderisches Arbeitspensum aufgebürdet. »Leander hat mich einem Kreis aus acht Altons zugeteilt! Deren Energie fährt mir durch die Knochen, bis ich es nicht länger auszuhalten glaube!«
Dyan legte ganz sacht die Hand auf Aris Schulter. Es war der denkbar leichteste Körperkontakt, und trotzdem mußte der Bewahrer sich zwingen, nicht unter der Hand seines Freundes zusammenzuzucken. Auch das gehörte zu seiner Ausbildung: Sie hatte ihn so sehr sensibilisiert, daß er es nur schwer ertrug, berührt zu werden. Man hatte ihm gesagt, er würde mit der Zeit dieses Problem in den Griff bekommen und nicht ein Leben lang vor der Berührung der engsten Freunde zurückschrecken. Aber von Fremden würde er wohl selbst einen harmlosen Handschlag nie mehr ertragen können. Das war der Preis, den er bezahlen mußte.
»Leander meint es bestimmt nur gut«, besänftigte Dyan ihn. »Es ist nur so – « Dyan zuckte mit den Achseln. »Nun ja, jetzt, da Lord Coryn nicht mehr bei uns ist, bist du der Hastur. Leander ist ein äußerst fähiger Matrixarbeiter, aber kein Hastur.«
»Und manchmal wünschte ich mir, ich wäre es auch nicht.« Dieser Gedanke war Ari in letzter Zeit immer öfter gekommen. Man hatte ihn zunächst gegen seinen Willen nach Hali geschickt; allmählich hatte er dort zumindest zeitweise Frieden gefunden, doch seit Coryns Weggang lastete der Druck, alle Pflichten übernehmen zu müssen, allzu schwer auf Aris noch jungen Schultern.
Ari senkte die Augen, und wieder beschlich ihn dieses Schuldgefühl, das sich immer einstellte, wenn er an das Opfer seines Vaters erinnert wurde: die Zerstörung unvorstellbarer Laran -Kräfte, um ihn, seinen einzigen Sohn, aus der tödlichen Falle zu retten. »Ich weiß sehr wohl, was mein Vater für mich aufgegeben hat. Du mußt nicht glauben, ich sei undankbar. Aber manchmal fürchte ich, daß ich ihn nie ersetzen kann. Es ist schwer, in seine Fußstapfen zu treten.«
Dyan neigte den Kopf zur Seite. »Es ist aus mehr als nur einem Grund zu bedauerlich, daß er nicht mehr bei uns ist.«
»Wie meinst du das?« fragte Ari, dem der bedrohliche Unterton in Dyans Bemerkung nicht entgangen war.
»Ich will sagen, daß die Hastur-Ländereien größeren Schutz genießen würden, wäre Lord Coryn noch Bewahrer des Turms.«
»Schutz? Aber warum? Es herrscht doch Frieden!«
»Im Augenblick ja, aber wie lange noch? Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden. Aus Ardais ist eine Botschaft eingetroffen. Ich soll Hali sofort verlassen.«
Jetzt war auch der letzte Anflug von Müdigkeit aus Aris Gesicht gewichen. Die Ankündigung seines Freundes wirkte wie ein Eimer kaltes Wasser, das man ihm über den Kopf gegossen hatte. »Zurückbeordert? Aber warum?«
»Man spricht von Krieg.«
»Krieg?« wiederholte Ari ungläubig. »Aber dafür besteht kein Anlaß!«
»Es gab ein paar Grenzgefechte zwischen einigen niedrigeren Adelsfamilien. Eigentlich nichts von Bedeutung, aber doch Anlaß zum Krieg genug, wenn man unbedingt danach sucht. Cyril von Ardais sitzt zusammen mit seinen Söhnen wie ein alter Wolf mit seiner Meute in den Bergen und lauert nur darauf, den Domänen an die Kehle zu gehen. Gelegenheiten dazu bieten sich viele: Allarts Hastur von Elhalyn besitzt keinen Erben, und Felix Hastur von Hastur wird bestimmt auch keinen mehr
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