Das Wort des Hastur - 12
Dann richtete sich das Kalb auf und trat ihr dabei mit seinen kleinen, scharfen Hufen in den Bauch.
Als sie unter dem Bauch des Chervines hervorspähte, sah Melitta, wie Lerrys aufsprang und sich mit gezücktem Messer zur Verteidigung anschickte. Im Bruchteil einer Sekunde war er am Feuer und zerrte das Kalb von Melitta weg. »Alles in Ordnung, Damisela?«
»Alles bestens. Na ja, oder auch nicht. Nur verdreckt, aber nicht verletzt. Höchstens in meinem Stolz. Dieses Kalb – « Sie sah auf. Das Tier hatte sich seinen Weg um das Feuer herum gebahnt und lief jetzt auf den Stapel Decken zu, unter dem sich Stefan verbarg. »Halt es auf!« rief sie Lerrys zu. Dieser rannte los und konnte das Kalb gerade noch abfangen, bevor es Stefan erreichte, der trotz des anhaltenden Geplärrs des Kalbes und der anderen Tiere fest weiterschlief.
Lerrys stemmte sich mit seinem gesamten Körpergewicht gegen das Kalb, das auch weiterhin auf Stefan zudrängte. Plötzlich stolperte er über Stefans Beine, fiel nach hinten über und riß dabei das Kalb mit sich, das beide unter sich begrub. Zuunterst wand Stefan sich und schrie mit erstickter Stimme.
Melitta stürzte herbei, um zu helfen. Wo war Rafael?
Einige Zweige bewegten sich an den Bäumen, die die Lichtung umstanden, und der zweite ihrer Begleiter brach aus der Deckung hervor. Noch im Rennen knöpfte er seine Hose wieder zu. »Schnell«, rief sie ihm zu, »beeil dich!«
Das Kalb hatte sich aus dem Deckengewirr herausgewunden und versuchte, Lerrys fester Umklammerung zu entkommen. Melitta eilte Stefan zu Hilfe.
Der Junge rieb sich die schläfrigen Augen. »Was ist denn los?« fragte er eher vorwurfsvoll; Schmerzen schien er nicht zu haben. Melitta seufzte erleichtert. Zumindest mußte sie nicht befürchten, mit einem verstümmelten Erben der Domäne zum Großen Haus zurückzukehren.
Melitta kümmerte sich jetzt um Lerrys. Obwohl sich nun beide gegen das Kalb stemmten, wich dieses keinen Schritt zurück. Unaufhörlich blökte es seine Verzweiflung heraus. Es erschien Melitta so, als ob das Tier ihren Bruder anrief. War es denkbar, daß Stefan durch sein Laran Verbindung mit dem Tier aufgenommen hatte?
Schwellenkrankheit? Nein, unmöglich! Er war noch viel zu jung. Melitta zitterte als sie sich daran erinnerte, wie sehr ihr eigener Körper in Aufruhr geraten war, als ihre sexuellen und psychischen Triebkräfte sich entfalteten. Aber ihr Bruder war noch viel zu jung, als daß sich sein Laran melden könnte. Und außerdem waren sie unterwegs zu ihrer Schwester Ysabet, die ihr zweites Kind erwartete, und somit hatte Melitta weder etwas von der Kirian genannten Medizin bei sich, um ihn zu behandeln, noch die Zeit, eine Leronis zu Rate zu ziehen, die ihn untersuchen könnte.
»Was ist jetzt, hilfst du uns oder nicht?« fragte sie Rafael barsch, als er endlich bei ihnen war. »Du hast ja keine Ahnung, wie leid ich es bin, mich hier von diesem Kalb zum Narren halten zu lassen.«
Rafael grinste. »Ich helfe nur zu gern, Damisela. Nur weiß ich nicht, wo ich drücken soll. Diese Seite scheint mir jedenfalls schon besetzt.«
Melitta stöhnte verzweifelt.
»Wenn wir uns alle zusammenstellen und versuchen, das Kalb zurückzutreiben, könnte es klappen«, meinte Stefan, der sich endlich erhoben hatte.
Die vier zingelten das Kalb ein und wollten sich gerade daran machen, es zu den anderen Chervines zurückzudrängen, als das Vieh urplötzlich seinen Kampf einstellte. Durch den nun fehlenden Widerstand wären die vier beinahe gestürzt und übereinandergefallen, doch gelang es ihnen gerade noch, sich gegenseitig zu stützen.
Das Kalb drehte sich um, trottete treu und brav zu seiner Mutter und machte sich unverzüglich am Euter zu schaffen, das es immer wieder feste stieß, so als wollte es sagen: »Mehr! Mehr! Ich habe einen Riesenhunger!«
Bei diesem Anblick mußte Melitta wieder an ihren verschütteten Porridge denken. »Eine schöne Bescherung!«
Stefan beobachtete seine Schwester, wie sie den angeschwärzten Kessel aus dem Feuer angelte. Was eigentlich ihr Frückstücksporridge werden sollte, köchelte nun in der schwächer werdenden Glut vor sich hin. »Bei Zandrus Höllen«, murmelte Stefan hinter ihrem Rücken. »Ein feines Frühstück war das!«
Melitta nickte nur schweigend. Der Tag hatte alles andere als gut angefangen. Sie mußten mindestens noch eine weitere Nacht unterwegs verbringen, bevor, sie Ysabets Domizil erreichen würden, und außerdem lag Neuschnee. Sie wünschte
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