Das Wort des Hastur - 12
verhält sich eher umgekehrt: Die Tiere müssen von deinem Sohn befreit werden.«
»Ich glaube Euch kein Wort.«
Um den Beweis anzutreten, bat Melitta Stefan, auf dem Pfad davonzureiten.
»Das ist nicht dein Ernst!«
»Und ob es das ist!« entgegnete sie. »Und nimm das Kalb an der Führleine mit«, rief sie ihm nach, als Stefan kopfschüttelnd den Raum verließ.
Ohne weitere Worte zu verlieren, folgten die anderen Stefan nach draußen. Renata hielt Garron auf dem Arm, und Rafael half Lerrys, der seinen rechten Fuß noch immer nicht belasten konnte. Stefan sattelte seine Stute, holte das Chervinekalb an der Leine herbei, stieg auf und trabte den Pfad entlang. Bis zur ersten Biegung ging alles gut.
Dort hielten beide Tiere inne, stellten die Vorderhufe nach außen und weigerten sich, auch nur einen Schritt vorwärts zu tun. Stefan trieb sein Pferd mit Rufen und Tritten an, bis die Stute störrisch zu bocken begann. Schließlich gab er es auf und ritt zur Hütte zurück, wobei das Chervinekalb ihnen vorauseilte und immer wieder ungeduldig an der Leine riß. Zum Schluß trottete es direkt auf Garron zu, um seine Nüstern in dessen Hand zu vergraben. Renata blickte Melitta mit weit aufgerissenen Augen an, bevor sie ins Haus zurückkehrte.
Für heute war alles gesagt und getan. Die Dunkelheit senkte sich bereits über das Tal, die vier Reisenden waren müde und erschöpft, und so betteten sich alle sechs zur Nachtruhe.
Melitta erwachte noch vor Morgengrauen; ein wachsendes Unbehagen stieg in ihr auf. Auch Lerrys rutschte unruhig auf seiner Pritsche hin und her. Sie mußten endlich aufbrechen! Der Geburtstermin rückte immer näher, und es war höchste Zeit, daß sich ein Heilkundiger um Lerrys kümmerte. Wie konnten sie Renata nur davon überzeugen, ihr Elternhaus aufzugeben? Und wie konnte man einem Zweijährigen erklären, daß die ›hübschen Hottehüs‹ fort mußten?
Melitta half Renata bei der Vorbereitung des Frühstücks, als plötzlich ein Schrei ertönte. Stefan hatte Garron nach draußen begleitet, wo der Junge seine Spielkameraden erwartete. Als Stefan um Hilfe rief, ließ Melitta die Schüssel fallen, die am Boden in tausend Stücke zersprang. Fast gleichzeitig stürzten Renata und sie zur Tür; Rafael folgte ihnen auf den Fersen.
Melitta hörte Renata neben sich keuchen. Ein riesiger Wolf stand bedrohlich über Garron gebeugt, doch der Junge zupfte nur unbekümmert an dessen Fell, so als ob es sich bei der Bestie um ein braves Schoßhündchen handelte. Melitta war selbst vor Angst wie gelähmt, spürte aber, daß Garrons Mutter losstürzen wollte und offenbar bereit war, notfalls ihr eigenes Leben zu opfern, um ihren Sohn aus den Klauen des Wolfes zu retten. Sie legte ihre Hand auf Renatas Arm und mahnte sie, sich ruhig zu verhalten. Ein in die Enge getriebener Wolf würde sogar einen ausgewachsenen Mann anfallen.
»Wir müssen erst überlegen, dann handeln«, brachte sie mühsam hervor.
Hinter sich hörte sie Lerrys. Sie drehte sich um und sah, daß er einen Stock aufgehoben hatte, auf den er sich stützte. Langsam, ganz langsam näherte er sich dem Wolf und dem Jungen. Als Melitta begriff, was er vorhatte, war es zu spät, ihn aufzuhalten. Vier Augenpaare verfolgten aufgeregt Lerrys, als er sich von links an den Wolf und den Jungen humpelnd heranschlich.
»Der alte Narr«, murmelte Rafael halb bewundernd. Melitta hielt Renatas Arm umklammert. »Was könnte den Jungen ablenken?« zischte sie ihr zu.
Die Frage verwirrte die Frau nur ganz kurz. »Ein anderes Tier«, erwiderte sie rasch. »Ein Rabbithorn, irgend etwas Kleines und Kuscheliges.«
Die meisten Tiere hatten sich zurückgezogen und im Gebüsch Schutz gesucht. Nur die Bergkatze mit ihren beiden Jungen war noch sichtbar.
»Schnapp dir ein Rabbithorn, wenn du kannst«, flüsterte Melitta noch, bevor sie selber sich Schritt um Schritt den Katzen näherte. Diese beachteten jetzt den Wolf und den Jungen nicht mehr, sondern beäugten argwöhnisch Melitta. Sie fürchtete schon, die Katzen würden Reißaus nehmen, wenn sie sich noch näher heranwagte.
Melitta schaute zu dem Wolf hinüber, der Lerrys nicht aus den Augen ließ. Das Tier stand jetzt breitbeinig da und knurrte vernehmbar. Den kleinen Garron schien er ganz vergessen zu haben. Plötzlich stolperte Lerrys, konnte das Gleichgewicht nicht länger halten und stürzte zu Boden. Melitta mußte irgend etwas tun!
»Guck mal, Garron! Kätzchen, Garron!« Melitta versuchte, so ruhig wie
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