Das Wort des Hastur - 12
möglich zu klingen, obwohl ihr Herz panisch schlug.
»Schau das schöne Kätzchen, Garron«, bemühte sich auch Renata. »Komm zum Kätzchen, Garron, komm!«
Garron zog noch einmal kräftig am Fell des Wolfes, aber das Tier richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf Lerrys, der sich verzweifelt bemühte wieder aufzustehen. Da der Wolf nicht reagierte, ließ Garron schließlich von ihm ab und schenkte den Katzen seine Beachtung. Er krabbelte auf sie zu. Der Wolf kauerte sich nieder, jeden Moment zum Sprung auf den verletzten Mann bereit. Sobald das Kind in einigermaßen sicherer Entfernung war, stürmten Rafael und Stefan hervor, um mit Schreien und wildem Gestikulieren den Wolf zu vertreiben.
Renata schlang tief erleichtert ihre Arme um ihren Sohn. Sie glaubte schon, das Schlimmste sei ausgestanden, aber Melitta ermahnte sie erneut zur Ruhe. Ihr Sternenstein glitt aus dem Beutel in ihre Hand. In seiner Tiefe funkelten blaue Blitze. Melitta ließ ihre Gedanken mit den Energien des Steins verschmelzen und erweiterte dadurch ihr Bewußtsein, bis es auch das des Kindes und des Wolfes mit einschloß. So nahm sie schließlich auch das Energienetz wahr, das von dem Jungen ausging. Blaue Stränge verbanden Garron mit jedem Tier. Melitta folgte jeder einzelnen Spur, bis sie endlich die Linie fand, die von dem Jungen zu dem Wolf verlief. Mit einer großen Willensanstrengung kappte sie die Verbindung.
Der Wolf, der sich bislang geweigert hatte zu entfliehen, zuckte mit einem Mal zusammen. Als ob er aus einem Traum erwachte, durchlief ihn ein Zittern vom Kopf bis in die Schwanzspitze. Er drehte sich kurz um und verschwand im Wald.
»Nun, Renata«, meinte Melitta, »fürs erste bist du und dein Kind in Sicherheit. Aber was wirst du tun, wenn ein anderer Wolf auftaucht? Oder gar Banshees? Was wirst du dann machen?«
»Banshees?« flüsterte Renata entsetzt. »Heilige Cassilda steh uns bei! Ich werde sofort meine Sachen packen!«
Melitta und ihre Begleiter erreichten erschöpft das Gutshaus. Schon eilten ihnen Diener entgegen, um die Pferde und Packtiere zu versorgen, blieben dann aber verwundert stehen und wichen sogar zurück. Einige von ihnen hielten ihre Mistgabeln wie Waffen.
Melitta ließ sich aus dem Sattel gleiten und bat darum, daß jemand die Stute in den Stall führe. Aber keiner rührte sich. Sie blickte mißmutig zu den anderen. Machte ihr Haufen wirklich einen so desolaten Eindruck? Während ihres Ritts von Renatas Haus hierher hatten die meisten Tiere es aufgegeben, ihnen hinterherzulaufen, und waren in den Wald zurückgekehrt. Nicht so die Bergkatze mit ihren beiden Jungen, die nach wie vor Garron folgten, der auf Rafaels Schoß saß. Weder durch lautes Rufen noch durch gezielte Steinwürfe waren sie zu vertreiben.
Jedenfalls hatte sie keine Zeit, sich mit dem Dienstpersonal herumzuärgern. Lerrys Verletzung mußte sofort verarztet werden und Melitta glaubte zu spüren, daß die Geburt von Ysabets zweitem Kind unmittelbar bevorstand. Sie befahl dem Nächststehenden, Lerrys ins Haus zu helfen; einem zweiten Diener drückte sie im Vorbeigehen die Zügel ihres Braunen in die Hand. Stefan würde sich um Renata und Garron kümmern.
Sie stürzte ins Haus und eilte die Treppen hinauf. Kaum hatte sie das Schlafzimmer ihrer Schwester betreten, hörte sie Ysabet und ihren Mann Brydar einen entzückten Schrei ausstoßen. Anschließend war es, abgesehen von den schweren Atemzügen, eine Zeitlang völlig ruhig im Zimmer. Und dann antwortete ihnen das Neugeborene mit seinem ersten Schrei. Die Hebamme hielt einen kleinen Jungen im Arm.
CYNTHIA MCQUILLIN
Das Kind des Chieri
Bereits in meiner ersten Anthologie habe ich eine Geschichte von Cynthia McQuillin veröffentlicht, und ich weiß noch gut, daß ich meine Einleitung mit der Frage begann: ›Gibt es eigentlich irgend etwas, das diese junge Frau nicht kann?‹ Damals bezog ich mich auf ihre vielfältigen künstlerischen Talente. Meiner Erfahrung nach geben Menschen, die auf diesem Gebiet begabt sind, meist keine guten Schriftsteller ab; Menschen, die gewohnt sind, in Bildern zu denken, fällt es oft schwer, sich in Worten auszudrücken. Natürlich gibt es auch da berühmte Ausnahmen. So habe ich zum Beispiel gerade von Janny Wurts einen Entwurf für die Titelseite meines Magazins zusammen mit einer ihrer Geschichten gekauft. Und auch in George Burr, eigentlich als bildender Künstler bekannt, schlummern verborgene schriftstellerische Talente. Schließlich
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