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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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einkaufen, liefen an den Ständen mit den grünen Plastikplanen vorbei und schwenkten dann in die neue Einkaufspassage ein, in der meine Eltern regelmäßig Bücher in dem kleinen Thalia-Buchladen eingekauft hatten oder zum Kaffee in das italienische Bäckerei-Café gegangen waren. Hannah, Sonja und Bernhard, der Bruder meines Vaters, waren die einzigen Menschen, die ich sah und die ich ertragen konnte.
    In unserem Haus lagen die Dinge genauso, wie meine Eltern sie verlassen hatten. Vielleicht lächeln Sie darüber, aber ich hatte den Eindruck, dass die Dinge in unserem Haus mehr wussten als ich. Alle hatten sie diesen Duft von etwas Verlassenem. Ich
sagte der Familie meines Onkels, die sich um mich kümmerte, es sei mein Wunsch, noch einmal eine Woche in dem Haus zu wohnen. Die waren natürlich strikt dagegen, weil sie glaubten, ich würde mir etwas antun. Bernhard erklärte sich schließlich bereit, eine Woche Urlaub zu nehmen und mit mir die Zeit im Haus zu verbringen.
    Wir saßen abends in der Küche und redeten kaum ein Wort. Die beiden Männer hatten sich nicht so oft gesehen, obwohl sie sich mochten. Mein Onkel ist ein anderer Typ als mein Vater, aber auch er hat seine Empfindlichkeiten und Eigenheiten. Nach drei Tagen sagte ich ihm, dass die Zeit so schnell vergehen würde. Ich bat ihn, mich die restlichen Tage allein im Haus zu lassen. Ich dachte nie, dass er einwilligen würde. Er war nervös, rief seine Frau an, baute im Garten die Grillstelle ab, räumte die Sachen in den Keller und machte noch andere unverständliche Dinge. Am nächsten Morgen kam er sehr zeitig in mein Zimmer, mit Tränen in den Augen, und meinte, er könne mich so gut verstehen; er halte es selbst kaum in diesem Haus aus. Wenn er jetzt aber gehe, stürze er vielleicht seine Familie ins Unglück, es sei denn - er drückte, als er das sagte, ganz fest meine Hände -, er könne sich hundertprozentig auf mich verlassen.
    Ich schaute ihn an, versprach ihm, dass ich nichts tun würde, was ihn in Schwierigkeiten bringen könnte. Dann fuhr er ab. Wir hatten vereinbart, dass er am letzten Tag wiederkommen würde. Ich war ihm auf eine unbeschreibliche Art und Weise dankbar. In diesen
kurzen Tagen habe ich das Haus kein einziges Mal verlassen. Ich habe nur wenig gegessen. Ich ging durch die Zimmer, öffnete weder die Schubladen in den Räumen meiner Eltern, noch war ich sonst begierig, irgendetwas zu berühren. Ich wollte nur noch mal den entfliehenden Geruch unseres Lebens in diesem Haus aufsaugen.
    Das Einzige, was mich eine Nacht lang beschäftigt hat, war die Digitalkamera meines Vaters. Er hatte sie im Hotelzimmer vergessen, als wir zu der Synagoge gefahren waren. Die Kamera war eine kurze Zeit lang beschlagnahmt gewesen, dann hatte ich sie wiederbekommen. Ich setzte mich ins Wohnzimmer und schaltete sie ein. Ein kurzes Surren, dann flammte das Display auf. Es dauerte eine Weile, ehe ich das Archivierungssystem für die Bilder verstanden hatte. Ich öffnete die Fotos vom Strand. Ich musste lächeln. Mein Vater hatte natürlich die verunglückten Bilder nicht gelöscht, wie es meine Mutter sich gewünscht hatte. Steif und gekünstelt, die Gesichter weiß und grell, saßen wir da und starrten in die Kamera. Das Boot sah aus wie ein kleiner gestrandeter Wal, vor dem nun seine Jäger standen, etwas ratlos darüber, was sie angerichtet hatten. Dann kamen die anderen Bilder. Wie ich mich an meine Mutter anlehne, ihre Haare an meiner Wange liegen. Ich wünschte mir, dass noch unendlich mehr solcher Bilder folgen würden. Stattdessen erschienen der Strand, das Hotel mit seiner Palmenreihe vor dem Eingang; Meeresglitzern, spielende Kinder und eine Aufnahme meiner Mutter am
Abend in ihrem Zimmer, etwas unglücklich von der Seite aufgenommen. Mein Vater war kein besonders guter Fotograf. Ich glaube, er war nicht - wie soll ich das sagen - kalt, nicht ruhig genug, um den richtigen Bildausschnitt zu finden. Hannah sagte das einmal zu mir, als sie neue Kleiderentwürfe sah: »Maja, das ist zu konventionell. Du musst mit einem kalten Blick auf das schauen, was am Ende herauskommen soll, sonst wird’s sentimental.«
    Jedenfalls drückte ich auf den kleinen Knopf am Rand und sah mir Bild für Bild an, jedoch ohne die Gefühle, die ich bei den ersten Aufnahmen hatte. Dann entdeckte ich, dass eine Videosequenz gespeichert worden war. Ich drückte auf die Play - Taste, und dein Gesicht erschien. Erst unscharf, verwackelt, dann deutlicher, weil du ein paar

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