Das Wuestenhaus
die Innenfläche. Sie lächelten unbeholfen und umarmten mich kurz.
»Nicht so viel grübeln, Maja. Wir sehen uns bestimmt wieder.«
Dann verschwanden Sie, gaben wahrscheinlich Tamir und den anderen Angestellten ein Trinkgeld und vergaßen, wer wir waren.
Er hob den Kopf und sah Maja an. Sie hielt nun ihre Finger um den kleinen silbernen Löffel neben ihrer Tasse gepresst. Auf seltsame Art und Weise schien sie seine Konzentration zu teilen. Ihr Blick erinnerte ihn nun wieder an das Mädchen, das sie damals gewesen war. Wie sie vor seinem Zimmer gewartet hatte, schüchtern und zugleich voller Erwartungen. Wie schnell hatte er nach seinem Koffer gegriffen, weil es unsinnig gewesen war, darüber nachzudenken, dass er sich in ihrer Nähe wohlfühlte. Er hörte die Stimme der Fairouz. Selbst den Namen der Sängerin hatte er seit Langem nicht mehr vernommen. Maja hatte recht: Er hatte diese Reise aus seinem Gedächtnis gestrichen. Er beobachtete ihr Gesicht, das leichte Zucken um ihre Mundwinkel, die angespannte Stirn. Sie biss sich nun einige Male auf die Unterlippe und sah zur Seite. Es war ihm unerklärlich, wie er sie hatte vergessen können.
Mein Vater hatte es am Morgen nach Ihrer Abfahrt geschafft, meine Mutter zu überreden, doch noch den Ausflug zu der Synagoge zu unternehmen. Ich bemerkte, wie wenig Lust meine Mutter dazu hatte, aber ihm zuliebe hatte sie schließlich nachgegeben. Auch ich verspürte keinerlei Lust, wieder aufzubrechen und neue Dinge zu sehen, erst recht keine, die mich sofort wieder an Sie erinnern würden.
Mein Vater wollte so schnell wie möglich zu der Synagoge fahren, noch an diesem Tag.
Das Wetter sei bestens dafür geeignet, sagte er, und ohnehin sei es zu frisch, um schwimmen zu gehen, es herrschten genau die richtigen Temperaturen für die Besichtigung eines Gebäudes wie der Synagoge. Er lachte und meinte, Sie mit einem ironischen Augenzwinkern zitierend, dass sich ja dort ungeheuer große Flüsse kreuzen würden. Das war ungefähr vier Stunden vor seinem Tod.
Er organisierte einen Mietwagen.
Ich saß in der Küche bei Tamir, der mich einlud, mit ihm später seinen freien Nachmittag zu verbringen und einen Tee trinken zu gehen.
»Was wollt ihr da? Es ist langweilig in E. R. Ein altes leeres Haus mit einem großen Hof und Katzen. Es lohnt sich nicht, hinzufahren«, sagte er, während er nach seiner Zigarettenschachtel griff und die Küchenfenster öffnete.
Ich erklärte meinen Eltern, dass ich nicht mitkommen würde. Erst schienen sie einverstanden zu sein, aber als sie hörten, dass ich mit Tamir in die Stadt
fahren wollte, änderten sie schlagartig ihre Meinung. Aus meinem Zimmer holte ich mir ein Buch und meinen Sonnenhut. Ich war fest entschlossen, das Auto während dieses Ausflugs nicht zu verlassen. Ich stieg in den Wagen.
Tamir stand in der Lobby, mit unbeweglicher Mimik. In der Nähe meiner Eltern war er seit einiger Zeit einsilbig geworden. Später habe ich mich gefragt, ob er vielleicht auch zu denen gehörte, die Menschen wie meine Eltern hassten, weil sie als Besucher einer ihnen verdächtigen Welt auf diese verdammte Insel kamen.
Wir fuhren zu der Synagoge. Eine Fahrt durch einen brennenden Sonnenglast. An der Hotelausfahrt bellten die Hunde. Von den kühlen Brisen am Morgen war nichts übrig geblieben. Ein Licht, hoch, grell und strahlend, und die Hitze kroch in alle Ritzen und Ecken des Mietwagens, dessen Motor laut schepperte.
Meine Mutter trug die Kette, die ihr mein Vater am Morgen geschenkt hatte, und ein rotes Leinenkleid. Sie hatte sich noch ein Tuch eingesteckt, weil sie einmal bei einer Domführung in Italien Ärger wegen freier Schultern bekommen hatte.
»Morgen können wir unser Strandleben fortsetzen. Maja, das ist doch ein Kompromiss, oder nicht?« Mein Vater saß am Lenkrad und war im festen Glauben, die Dinge hätten sich wunderbar gefügt. Er sprach liebevoll und freundlich mit meiner Mutter, wie schon seit Langem nicht mehr. »Ab morgen könnt ihr zwei alles
bestimmen, was ihr wollt. Ich werde mit keinen neuen Plänen eure Erholung boykottieren.«
Ich war wütend. Kurz vor dem Tod meiner Eltern war ich noch einmal ein typisches siebzehnjähriges Mädchen, in die kleinen Spiele und Träume verstrickt, die ich wenig später verloren habe.
Ich sagte, sie würden Tamir unrecht tun, er habe mich lediglich eingeladen, mit ihm in die Stadt zu fahren und gemeinsam Zeit zu verbringen. Meine Eltern meinten, Tamir sei nett, aber sie trauten
Weitere Kostenlose Bücher