Das Wuestenhaus
Gesicht und wendete sich zu mir. »Ich will nicht wieder nach Paris fahren. Kannst du nichts machen?«
Ich erklärte ihr, dass ich mir extra freigenommen hatte, und berührte sie kurz an der Schulter. »Es geht schon«, sagte sie und ging wieder in ihr Zimmer.
Einen Tag später brachen wir nach Paris auf. Das war am Dienstag letzter Woche.
Wir waren bereits in den Jahren zuvor gemeinsam zu den von der französischen Polizei durchgeführten Vernehmungen nach Paris gefahren, da man relativ zeitig einen der Hauptverdächtigen in Frankreich inhaftiert hatte. Die Beamten waren überzeugt, mit ihm den Kopf der Aktion gefunden zu haben, aber es fehlten ihnen die Verbindungsleute. Jedes Mal behaupteten sie, kurz vor einer neuen Verhaftungswelle zu stehen.
Die Vernehmungen hatten meist nur eine Stunde gedauert. Man zeigte uns Bilder von Männern, deren Gesichter ausdruckslos in die Kamera starrten; alterslose, stumme Gesichter, darunter viele mit einem Bart oder Narben auf den Wangen. Fotos, die sich zum Verwechseln ähnlich sahen.
Diesmal, hieß es, müsse Maja in Paris alle Aussagen noch einmal bestätigen. Der alles entscheidende Prozess stehe in wenigen Monaten bevor.
Seltsamerweise hatte ich, trotz Majas gedrückter Stimmung am Vorabend, ein gutes Gefühl bei dieser Reise. Ich hatte mir ein paar Tage freigenommen. Wir waren sehr früh, noch in der Dunkelheit, aus Kehl aufgebrochen. Ich fand es wunderbar, in der Morgendämmerung durch Frankreich zu fahren. Der Tag stieg sommerlich auf. Maja erzählte mir davon, den Kopf ans Seitenfenster gelehnt, dass sie im nächsten Herbst mit Hannah und Sonja nach Dänemark fahren wolle. Sie sagte, dass die beiden ihr immer mehr Verantwortung in dem Laden übertrugen und dass sie glücklich sei, so gut mit ihren eigenen Entwürfen voranzukommen.
Wir verloren kein Wort über den eigentlichen Grund der Reise.
In Paris herrschte lärmender Verkehr in den Straßen.
Ich fuhr den Wagen durch einige Seitenstraßen, achtgebend, nirgendwo anzustoßen an Tischen, Stühlen, Motorrädern oder an den auf den Trottoirs aufgestellten Gemüsestiegen. Nach einigem Herumirren erreichten wir die Adresse, die uns die Vernehmer genannt hatten, ein großes altes Haus aus dem 19. Jahrhundert mit einem breiten Eingangsportal, im inneren Zentrum der Stadt gelegen.
Als wir das Büro betraten, begrüßten uns die Beamten freundlich, dann legten sie uns rasch die Fotos
vom Brandort vor, darunter auch Bilder der Synagoge, wie sie vorher ausgesehen hatte: alte Säulen, dazwischen das kräftige Blau ihrer Bemalung. Im Hintergrund waren Holzbänke zu sehen, mehrere Reihen hintereinander gesetzt.
Die Luft war stickig in dem Vernehmungsraum; überall standen große Schreibtische mit Computern, Kaffeetassen und Stapeln von Akten darauf. Immer wieder hörte man das Klingeln von Telefonen aus den anderen Büros.
Die Dolmetscherin, eine junge, schüchtern wirkende Frau mit Pferdeschwanz, versuchte Maja klarzumachen, dass es wichtig sei, sich noch mal genau vor Augen zu führen, ob sie auf der Insel einen von den Männern auf den Fotos gesehen habe. Man stünde kurz vor dem Beweisabschluss; jede Auskunft und jeder Hinweis sei nun noch einmal von höchster Bedeutung. Maja war blass; sie fragte nach einem Glas Wasser. »Sie sehen alle gleich aus. Ich erkenne niemanden. Das habe ich Ihnen schon so viele Male gesagt«, sagte sie leise.
Einer der Vernehmer meinte entnervt, dass die Männer, die sie auf diesen Fotos sehen würde, in der Lage seien, ganze Städte auszuradieren; sie seien nur von dem Wunsch beseelt, noch mehr Menschen wie ihre Eltern in den Abgrund zu schicken. Dabei deutete er auf einen Computerausdruck, auf dem die Opfer des Anschlags abgebildet waren.
Links oben entdeckte ich meinen Bruder und seine Frau. Es waren die Aufnahmen aus ihren Pässen.
Das Erschreckende an dieser Fotosammlung war, dass auch diese Gesichter in der vorliegenden Reihung kaum voneinander zu unterscheiden waren. Ich bemerkte, wie intensiv Maja auf diese beiden kleinen Abbildungen ihrer Eltern blickte - und ich machte mir Sorgen, welche Wirkung das auf sie haben könnte.
Die Dolmetscherin versuchte, den energischen Ton des Mannes in eine ruhige Auskunft zu überführen: »Das Schlimme ist, dass sie sehr genau alle weißen Flecken und Schleichwege unseres Rechtssystems kennen. Ihre Anwälte schaffen es sogar, die betreffenden Personen auf legalem Weg außer Landes zu bringen. Einige Mittelsmänner laufen frei herum in der
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