Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
Vom Netzwerk:
Stadt. Wir brauchen Zeugen, Hinweise, selbst kleinste Details können uns jetzt noch weiterhelfen.«
    Maja wusste nicht, was die Vernehmer von ihr erwarteten. Ich sah, wie sie sich plötzlich wieder Mühe gab, gelassen zu wirken.
    Sie beugte sich noch einmal über die Fotos, wandte sich mit Hilfe suchendem Blick zu mir, dann erzählte sie, immer wieder unterbrochen von der leisen Stimme der Dolmetscherin, die beim Reden ihren Bleistift rasend schnell über einen kleinen Block kritzeln ließ, dass es tatsächlich etwas gebe, das sie noch nicht erzählt habe.
    In einem Dorf mit lauter Ziegen seien Kinder aufgetaucht, die sie verfolgt hätten. Dann seien zwei Männer zu sehen gewesen. Sie seien wie zwei Schatten vom Meer heraufgekommen und hätten die sie bedrängenden Kinder bemerkt. Daraufhin habe einer
der Männer den größten Jungen aus der Gruppe geschlagen, mit einem einzigen kurzen Treffer ins Gesicht, still und lautlos. »Der Junge lag da und sagte kein Wort, er hielt sich nur die Hand auf die Wange, während das Blut aus seiner Nase lief. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Schlag eigentlich mir gegolten hatte.«
    Ein älterer Beamter mit einer altmodischen Hornbrille fragte Maja, ob einer der auf diesen Fotos abgebildeten Männer der Mann gewesen sei, der den Jungen geschlagen habe. Maja beugte sich wieder über die Bilder und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Später sah ich den Mann noch einmal im Hotel. Da redete er mit anderen Leuten und lachte. Sein Gesicht hatte sich vollkommen verändert. Erst als er mich im Hoteleingang erkannte, hatte er wieder diesen ernsten, strengen Gesichtsausdruck. Diesen Ausdruck würde ich sofort wiedererkennen.«
    Die Beamten wechselten enttäuschte Blicke miteinander und sagten dann, sie würden nun mit uns noch einmal die alten Protokolle durchgehen, und Maja solle sie bestätigen. Die Dolmetscherin blieb ruhig und freundlich: »Fällt Ihnen noch jemand ein, der vielleicht etwas bemerkt haben könnte?« Auch diese Frage war bei den vorangegangenen Vernehmungen immer wieder gestellt worden. Maja schüttelte energisch den Kopf. »Wir waren doch nur Urlauber. Es war ein einfacher Ausflug, nichts mehr. Sie fragen mich immer wieder dasselbe. Das alles ist so lange her.«
    Schließlich nannte die Dolmetscherin Ihren Namen.
    Maja zuckte kurz zusammen, dann sagte sie mit gefasster Ruhe: »Er hat damit nichts zu tun.«
    »Sie kennen den Mann aber?«
    »Wir haben ihn ein paarmal beim Abendessen gesehen. Er war nur wenige Tage in dem Hotel.«
    »Warum haben Sie das vorher nie erzählt?«
    »Verdächtigen Sie ihn?«
    »Nein, aber wir wundern uns, warum Sie unsere Fragen nicht beantworten. Sie können nicht selbst entscheiden, welche Details wichtig und welche unwichtig sind.«
    »Sie haben mich nie danach gefragt, mit welchen Landsleuten meine Eltern damals im Hotel gegessen haben.«
    Die Beamten schüttelten wieder den Kopf.
    Dann musste Maja ihre Aussage zum Ablauf des Ausflugs zu der Synagoge unterschreiben.
    Ich gebe zu, ich war einen kurzen Moment lang drauf und dran, die Geschichte so zu erzählen, wie ich sie von Maja gehört hatte. Nicht um Sie zu denunzieren, ich glaubte lediglich, nach Majas Besuch in Berlin wäre es eine Erleichterung für uns alle, wenn diese Bekanntschaft endlich zur Sprache käme.
    Als ob sie meine Gedanken erraten hätte, warf Maja mir einen strengen, warnenden Blick zu und sagte blitzschnell: »Können wir jetzt gehen?«
    Die Beamten nickten. Die Dolmetscherin packte ihren Notizblock ein und meinte beiläufig: »Ich hoffe, wir müssen Sie nicht nochmals darauf hinweisen, dass über den Aufenthalt hier Stillschweigen herrschen
muss. Es besteht sicherlich keine Gefahr für Sie als Zeugin, aber im Moment ist es besser, wenn niemand in der Stadt erfährt, dass Sie hier sind.«
    Als wir den Raum verließen, blieb Maja einen Augenblick auf dem Gang stehen. Er führte zu einer kleineren Treppe, die in ein halbrundes Foyer hinabstieg. Bitte lachen Sie nicht, aber ich bin mir sicher, Sie dort gesehen zu haben. Der Mann mit den kurzen braunen Haaren, dem gepflegten Dreitagebart und der hellbraunen Jacke, der dort stand, sich zu Maja umdrehte, sie anschaute und ihr zulächelte, freundlich und vertraut, ganz so, als wüsste er, wie erschrocken sie war, ihn dort zu sehen - dieser Mann sah Ihnen zum Verwechseln ähnlich. Freilich kenne ich Ihr Gesicht nur von den Umschlägen der beiden Bücher, die Sie geschrieben haben und die in Majas Bücherschrank

Weitere Kostenlose Bücher