Das Wüten der ganzen Welt
Böcken standen.
»Hab ich am Ende des Krieges für einen Pappenstiel ergattern können«, murmelte er mir manchmal zu. »Sie waren eigentlich für zwei Knilche aus dem Widerstand vorgesehen, aber bevor sie hingerichtet werden konnten, war der Krieg wegen Befreiung schon vorbei, also daher, schade nur, daß ich nicht auch für dich einen kleinen Kindersarg beschaffen konnte, na ja, für Muttern und meine Wenigkeit habe ich schon mal einen parat, wenn du so einen heutzutage kaufen wolltest, würde er eine schöne Stange Geld kosten.«
Die beiden Särge, an denen übrigens nach der Großen Sturmflut (dabei stand unser Lagerhaus unter Wasser, und die Särge wurden durch die Flut von ihren Böcken gehoben) zum Entsetzen meines Vaters Holzwurm festgestellt wurde (er entdeckte ihn, als er die Särge wieder auf ihre Böcke hob), blieben vorerst noch leer, weil meine Mutter alle Leiden abwechselnd und spottbillig mit einer Messerspitze Cuprum D3 oder einigen Tröpfchen Apis D4 zu heilen wußte. Dank dieser »Hömopathen«, wie meine Mutter die beiden Mittel nannte, waren wir kerngesund, auch wenn wir aus Sparsamkeitsgründen immer das Allerbilligste aßen: Griebenschmalz, Stippgrütze und die von juffrouw Varekamp verabscheute Blutwurst. Stippgrütze oder auch Buchweizengrütze gab es sogar mehr als einmal in der Woche als warme Mahlzeit. Nach der Stippgrütze strich sich mein Vater immer zufrieden über seinen Bauch und rief dann: »Bäuchlein, Bäuchlein, was hast du es wieder gut gehabt!«
Inzwischen bin ich geneigt zu glauben, daß mein Vater sich deshalb so zufrieden zeigte, weil ein Paket Grütze damals nur fünfzehn Cent kostete und ein halber Liter Buttermilch nur zwanzig Cent, aber damals fand auch ich Buchweizengrütze herrlich, und wenn ich wirklich Hunger habe und allein zu Hause bin, mache ich mir auch heute noch gern Stippgrütze. Bedauerlich ist, daß nur noch wenige Händler Buchweizengrütze in ihren Regalen stehen haben.
Daß mein Vater und meine Mutter unvorstellbar sparsam waren, hat mir nie etwas ausgemacht. Sogar, daß ich anderer Leute abgelegte Sachen tragen mußte, konnte ich, von der ewigen Angst vor dem vielsagenden Schweigen der gassies abgesehen, biIligen. Was meine Mutter aus den Lumpen heraussuchte, war immer noch heil, und bevor sie es mich anziehen ließ, wurde es gründlich mit grüner Seife gewaschen. »Ich sorg schon dafür«, sagte sie stets »daß du nicht schlampig herumläufst«, und das war zweifellos wahr. Mit grüner Seife brauchte sie nicht zu sparen. Die bekam sie gratis von Wäscher De Vries, als Gegenleistung für das Bruchholz, mit dem e r seinen Kessel heizte. Sie nähte, flickte, stopfte, konnte Ärmel verlängern und kürzen, Hosenbeine kürzen und verlängern und konnte fast jedes Kleidungsstück, das sie den Lumpen abrang, in ein Oberhemd oder eine Hose verwandeln, so daß sie für den ursprünglichen Besitzer nicht mehr zu erkennen waren. Vielleicht haben die gassies deshalb niemals auch nur eines ihrer Kleidungsstücke wiedererkannt.
Dank ihrer beängstigenden Sparsamkeit waren mein Vater und meine Mutter beinahe immer gut gelaunt. Fast jeden Ta g gelang es ihnen, an irgendwas zu sparen, und daran wurde abends bei Tisch stolz erinnert. Und wenn an einem Tag keine Gelegenheit gewesen war zu sparen, konnte mein Vater immer noch zu meiner Mutter sagen: »Sie wollen einführen, daß man jedes Jahr einen festen kirchlichen Beitrag gibt. Wie kommen sie bloß darauf! Es ist doch verflixt schade, daß wir hier nicht ›erneuert‹ haben bleiben können, denn bei den ›Erneuerten‹ kennen sie solche Verrücktheiten nicht, das kannst du mir glauben, na ja, wenn sie nur wissen, daß hier aber auch rein gar nichts zu holen ist!«
»Nein, ein kahles Kinn kann man nicht scheren‹ sagte meine Mutter.
»Genau so ist es«, sagte mein Vater, »und nun zieh ich mir erst mal einen Splitter aus der Ritze.« Er stand auf und ging zur Toilette, und dabei murmelte er: »Feste kirchliche Beiträge! Feste kirchliche Beiträge! Die sind nicht ganz bei Trost, wie können sie es wagen! Also, wenn es jemanden gibt, der kein Geld nötig hat, dann Gott. Wofür sollte der es denn ausgeben?«
Auf der Toilette konnte man ihn manchmal ausrufen hören: «Wer hat, will mehr!« Ob das auch für Gott galt oder nur für den Kirchenrat, weiß ich nicht, aber das war auch gleich. Wir wollten nicht mehr, wir sparten. Wir sparten sogar an Wasser und an Sunlichtseife. Einen um den anderen Tag mußte ich
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