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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Vater wies nachdrücklich in den blauen Himmel. Vroombout schüttelte den Kopf.
    Mein Vater gestikulierte heftig mit beiden Armen, wies in die Luft, aus der soviel Glockengeläut auf uns niedertönte. Vroombout zuckte mit den Schultern, nahm seine Dienstmütze ab und kratzte sich am Kopf. Er setzte die Mütze wieder auf, und zugleich sagte er etwas zu meinem Vater. Die Arme meines Vaters fielen schlaff an seinem Körper herunter. Er schien auf einmal einen Buckel zu haben. Jetzt gestikulierte Vroombout; mein Vater hörte schweigend zu, nickte ab und an, schüttelte manchmal den Kopf. Vroombout stieß sich mit dem Fuß, der auf dem Deich stand, ab. Ruhig radelte er in die Richtung des Glockengeläuts davon. Mein Vater kam langsam die Deichböschung herab, gesellte sich wieder zu uns, setzte sich ins Gras, schlang die Arme um die Knie.
    »Vroombout sagt, daß er heute morgen in den Nachrichten gehört habe, sie hätten da einen Waffenstillstand geschlossen«, sagte mein Vater mißmutig. »Wo?« fragte meine Mutter.
    »Da hinten in Korea«, sagte mein Vater.
    »Da bin ich aber froh«, sagte meine Mutter.
    »Ich nicht«, sagte er, »ich überhaupt nicht. Morgen ist das Alteisen nur noch die Hälfte von dem wert, was es letzte Woche eingebracht hat.«
    Er schluckte ein paarmal. Ich blinzelte in den blauen Himmel. Die Glocken läuteten. Mein Vater murmelte: »Er wollte wieder Geld leihen.«
    »So«, sagte meine Mutter.
    »Was können wir da machen?« sagte mein Vater.
    »Nichts«, sagte sie.
    »Dieses Ekel«, sagte me in Vater.
    »Viel?« fragte meine Mutter.
    »Kein Pappenstiel«, sagte mein Vater.
    Wütend zog er ein ganzes Grasbüschel und ein paar Stengel Sauerampfer aus dem Boden. Er sagte:
    »Ich würde keine Träne vergießen, wenn er ins Gras beißen würde, ich habe keine Nachsicht mehr mit ihm, wirklich nicht...«
    »Ach reg dich nicht auf«, sagte meine Mutter, »du kannst dich drehen und wenden, wie du willst, du kannst doch nichts dran tun, dir sind Hände und Füße gebunden. Ich würde einfach die Augen schließen und die Hand in den Spartopf stecken.« »Aber wann hört das auf?«
    »Es ist erst das dritte Mal«, sagte meine Mutter, »und er hat immer versprochen, daß er es zurückzahlen wird.« »Glaubst du das?«
    »Ja, warum nicht? Wenn die bewußten Leute damit überkommen...« »Kommen sie nicht.«
    »Doch, sicher, aber wenn nicht: Wir haben doch keine Wahl. Wenn er den Mund aufmacht...« »Wäre das nun so schlimm?« »Ich denke schon, ich denke, daß wir dann hier wegmüssen, ich denke, daß wir dann vielleicht sogar...«
    »Ich glaub kein Wort davon!« »Ich denke, daß es vernünftig ist, wenn wir jetzt mal unsern Mund halten. Kleine Kinder haben große Ohren. Hast du denn wenigstens nach dieser Glocke gefragt?«
    »Er wußte nicht, welche Glocke es war. Vielleicht eine von Rozenburg, sagt er.«
    »Würde man die hier hören können?« »Vielleicht, bei Südwind.«
    »Es ist kein Südwind, wir haben Ostwind!«
    »Nee, jetzt, wo du's sagst... Er wußte es nicht, er sagte, daß er keine Ahnung hätte. Er hatte die Glocke bisher auch noch nie gehört, er sagte, es sei vielleicht die Glocke von Arnemuiden.« Mein Vater sang traurig: »... bim, bam, bim, bimbam, o trauriger Graus...«
    »... versunken das Schiff mit Mann und Maus« sang meine Mutter vergnügt.
    »Und du machst immer noch deine Witze«, sagte mein Vater empört.
    »Ach, Mann, du siehst überall Gespenster, du läßt dich von jedem bißchen aus dem Gleichgewicht bringen.«
    »Bißchen? Das soll ein ›bißchen‹ sein? Du bist nicht ganz bei Trost!«
    »Gut, kein bißchen«, sagte meine Mutter, »aber trotzdem würde ich mich an deiner Stelle nicht so darüber aufregen, er wird schon den Mund halten. Wenn er anfängt zu reden, ist er seine Milchkuh los.«
    »Findest du es schön, eine Milchkuh zu sein?«
    »Ach, es hat auch seine Vorteile. Er hört alles. Wenn er weiß, daß irgendwo ein Posten Kupferdraht rumliegt, steht er noch am selben Tag bei uns auf der Matte. Was er sich leiht, zahlt er mit guten Tips zurück, sag selbst. Irgendwo ist er ganz anständig.«
    »Ich wollte, er würde ins Gras beißen!«
    »Wenn er das täte, weißt du mit Sicherheit, daß er nie etwas zurückzahlen wird.«
    »Na, ich hab da so meine eigenen Vermutungen...«
    »Halt doch die Klappe, Feind hört mit!«
    Meine Mutter summte das Lied von der Glocke Arnemuiden. Noch immer läuteten die fünf Glocken in der warmen Sommerluft. Ich erinnere mich an die fünf

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