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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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eine Freude zu machen, simulierte ich nach einiger Zeit, daß ich mich erschrak, denn über einen gelungenen Knall und meinen anschließenden Todesschrecken konnte er sich noch stundenlang amüsieren. Ohne diesen Samstagnachmittags-Knall hätte er es wahrscheinlich gar nicht akzeptieren können, daß ich so viele Stunden hinter dem Blüthner vertat, der nicht einmal in Mitleidenschaft gezogen wurde, als in der Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar 1953 Salzwasser in unser Lagerhaus strömte. 

Zugeständnis
     
    Ich erinnere mich an einen Tag des Herrn im Sommer 1953. Weit weg wütete noch immer der Koreakrieg. »Ob sie wohl am Sonntag auch kämpfen?« fragte ich mich. Meine Mutter und mein Vater saßen im hohen Gras an der Deichböschung bei der Booner-Schleuse; ich lag neben ihnen, ganz und gar erfüllt von dem weiten, weiten Himmel und dem Weltall, diesem schwindelerregenden Weltall, über das Lehrer Mollema gar nicht aufhören konnte zu reden. Jedesmal wenn er davon erzählte, schien es noch größer geworden zu sein. Daß Gott nach Moses suchen mußte, schien in einem solch unermeßlichen Weltall verständlich.
    Das Gras duftete, es war ein sonniger Tag. Über mir glänzte ein strahlendblauer, wolkenloser Himmel. Dort war das Weltall, mit all den Sternen und Planeten, und mir wurde schwindlig. Ich schloß die Augen und roch den trostreichen Duft der Rapsblüten. Dumpf begann die schwere Glocke der evangelischen Kirche zu läuten. Wenig später stimmte die schnelle Glocke der reformierten Kirche mit ein.
    Kirchzeit«, sagte meine Mutter.
    »Ich geh nicht«, sagte mein Vater, »wir waren heute morgen schon.«
    Hell und klar schloß sich jetzt die Glocke der christlichreformierten Kirche an, die schon läutete.
    »Warum nicht?« fragte meine Mutter. »Hörst du eine ›erneuerte‹ Glocke?« fragte er. »Bist du immer noch nicht darüber weg?« sagte sie. Eifrig schlug plötzlich auch das Glöcklein der römischen Kirche.
    »Es ist überhaupt keine Messe«, rief mein Vater empört, »der Pfarrer läßt die Glocke nur läuten weil all die anderen Glocken ebenfalls läuten. Er will nicht zurückstehen.«
    »Laß ihn!« sagte meine Mutter.
    »Ich wollte, ich würde eine ›erneuerte‹ Glocke hören!« sagte mein Vater.
    »Ach, komm«, sagte meine Mutter. »Was macht das schon? Überall dienen sie demselben Gott!«
    »Ja, aber unter verschiedenen Dächern«, sagte mein Vater.
    Eine fünfte Glocke ließ sich hören. Mein Vater fragte verblüfft: »Welche Kirche ist das?«
    »Der Protestantenbund«, sagte meine Mutter.
    »Den gibt's hier nicht«, sagte er, »nee, und wenn es den hier gäbe, würden sie doch keine Glocke läuten. Nee, das ist 'ne andere Kirche, aber welche? Ich versteh überhaupt nichts mehr. Wer... welcher Tempel...?«
    Er stand auf, schnüffelte wie ein Hund, sagte: »Ich komm einfach nicht dahinter, welche Kirche das nun sein könnte. Oder ob hier doch eine ›Erneuerte‹...«
    »Diese Glocke klingt nicht ›erneuert‹«, sagte meine Mutter, »und ich wollte, daß du jetzt endlich aufhörtest, darüber zu trauern, daß du hier nichts ›Erneuertes‹ hast. Wir sind jetzt reffermiert, und die Pastoren, die sie hier haben, predigen ganz ordentlich, vor allem Pastor Dercksen, also hör auf zu quengeln.«
    »Ich bin gar nicht so versessen auf die Reffermierten«, sagte mein Vater, »ich würde mich da ganz gern heimlich und still verdrücken. Was kann das nur für eine Glocke sein? Sie klingt lange nicht so grob wie das giftige reffermierte Glöckchen, es ist doch ein schöner, runder Klang, aber nicht so sumpfig wie die evangelische Glocke. Es ist verrückt, aber an diesen Glocken kann man hören, wie sie Gott dienen. Ich wollte, ich wüßte... he, da ist Vroombout der weiß bestimmt, in welchem Tempel diese Glocke bimmelt. Mal fragen.«
    Er stieg die Deichböschung hinauf. Er winkte Vroombout zu. Der Polizist winkte zurück, kurvte über den Deich, hielt an der Stelle an, wo mein Vater heraufkommen würde, wenn er weiter auf geradem Weg hochkletterte. Vroombout blieb auf seinem Fahrrad sitzen. Ein Fuß stand auf dem Deich, der andere noch auf dem Pedal. Dort saß er, hoch über uns, und es schien, als sei er die Verbindung zwischen dem riesigen Weltall und der kleinen, sonnigen, sommerlichen, nach Gras und Raps duftenden Welt, in der so viele Glocken bunt durcheinanderläuteten.
    Mein Vater kam bei ihm an, und Vroombout, der auf seinem Dienstfahrrad sitzen blieb, überragte ihn weiterhin. Mein

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