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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Annäherungsversuche von Yvonne und William aus Bequemlichkeit in ihre Arme flüchtete. Aber so war es nicht, oder nicht allein, glaube ich. Wahrscheinlich ging es mir auch um ihren Vater, der sozusagen in Reichweite war, wenn er mein Schwiegervater würde. Yvonne Kogeldans bot mir mit ihrem überraschenden Besuch einen Vorwand, um seiner Tochter am nächsten Tag den Hof zu machen. Oder ist das alles eine nachträgliche Interpretation? Aber gilt das nicht für alles, was wir tun? Wir handeln, und hinterher denken wir uns die Motive aus. Wie dem auch sei: Sollte es meine Absicht gewesen sein, meinen Verfolger, der mich bedrohte, zu Gesicht zu bekommen und ihn zu versöhnen, indem ich seine Tochter heiratete, so mißlang das gründlich. An unserem Hochzeitstag dirigierte er in Auckland. Größer hätte der Abstand kaum sein können. Nicht einmal ein Glückwunschtelegramm fiel ab, was Joanna, für die es in Wirklichkeit nur einen einzigen Mann auf der Welt gibt - ihren Vater -, sehr schmerzte, was sie aber abends, als wir nach der Hochzeit erschöpft im Bett lagen, mit den Worten entschuldigte: »Er ist nie über den Verlust seiner ersten Frau hinweggekommen. Daher liebte er auch meine Mutter nicht, daher ist er längst wieder von ihr geschieden. Daher liebt er auch meine Schwester und mich nicht, oder lieben... vielleicht hängt er doch ein wenig an uns... ach nein, das ist nicht wahr, nein, weißt du, was es ist: Wir existieren einfach nicht für ihn, das einzige, was für ihn existiert, ist seine Trauer. Er lebt aus seiner Trauer heraus, dirigiert aus seiner Trauer heraus, sein ganzes Leben ist eine Trauerfeier.« 

Teil 3
Sirius
     
    Ende September. Es war noch erstaunlich warm, wie im Hochsommer. Dennoch waren die Nachmittagsschatten schon lang. In der windstillen Luft läutete träge eine ferne Kirchenglocke. Es war verführerisch zu denken, es könne eine »erneuerte« Glocke sein.
    Minderhout, Alice, die Edersheims und ich saßen in Liegestühlen auf unserem Rasen. Es sah aus, als faulenzten wir. In Wirklichkeit warteten wir auf Joanna und ihren Vater. Sie waren gemeinsam in London aufgetreten. Er mußte weiter nach Deutschland, würde seine Reise in Schiphol unterbrechen und, wenn auch nur für eine Nacht, bei seiner Tochter zu Gast sein. Obwohl Joanna mich vor einer Woche aus London angerufen, mir dies unter Vorbehalt angekündigt und drei Tage später telefonisch bestätigt hatte, konnte ich es kaum glauben, daß ich nun endlich meinen Schwiegervater sehen würde. Wie lange wartete ich schon darauf? Früher hatte ich gemeint, ich habe Joanna geheiratet, um endlich einmal mit ihm reden zu können und Frieden zu schließen. Ein Schwiegervater konnte sich doch kaum als Mörder seines Schwiegersohns entpuppen. Natürlich, das waren Hirngespinste, Spukbilder gewesen. Hatte es überhaupt einen anderen Grund als sentir l'amour gegeben, um Joanna zu heiraten, dann waren eher Yvonne Kogeldans oder William Keenids der Anlaß gewesen. Aber warum war ich dann all die Jahre hindurch so enttäuscht gewesen, daß ich meinem Schwiegervater nie begegnet war? Warum hatte ich dann ein Mitglied unserer Prokofjew-Vereinigung, einen Juristen, gefragt: »Wie ist die gesetzliche Verjährungsfrist für Mord?« Warum hatte ich dann nach dessen Antwort - achtzehn Jahre - vage gehofft, daß er in jedem Fall erst nach 1974 wieder in den Niederlanden auftauchen würde? Aber auch nach 1974 hatte er die Niederlande nicht besucht, und die Jahre meines Lebens waren friedlich, ungestört, farblos verstrichen. Als Komponist hatte ich mir, genau wie Hunderte meiner Kollegen im In- und Ausland, kaum einen Namen gemacht. Dank einer einzigen Bearbeitung war ich berühmt geworden. Und diese Bearbeitung der unvergänglichen Mozart-Arie Ruhe sanft, mein holdes Leben hatte ich an einem Nachmittag für Hester komponiert. Na ja, was heißt komponiert, es war ein Arrangement gewesen. Der unerwartete Erfolg dieser Bearbeitung hatte meine Scheuern überreich gefüllt und meine Kelter von Most überfließen lassen.
    In der sommerlichen Luft hörte man das Geräusch eines Autos, das bremste. War es das Schiphol- Taxi? Schnell erhob ich mich aus meinem Liegestuhl, sah ein silbergraues Auto vorbeifahren, sah, wie still und schattenreich die Auffahrt, die sehr lange von einem umgestürzten Baum blockiert gewesen war, da lag. An einem Winterabend hatte ich mich - aus schrecklichem Liebeskummer (und das in meinem Leben, in dem nur die Musik zählt, ich muß sehr

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