Das Wüten der ganzen Welt
schöpfte mir Kressesuppe auf den Teller. Als endlich jeder die creme de cresson vor sich stehen hatte, war er bereits so weit, daß er mit seinem Löffel über den fast leeren Boden seines Tellers schabte.
Wir aßen; er hob sein Glas. Gierig trank er das Glas leer, richtete dann dessen Fuß auf mich.
»So, Sohntje...«, sagte er.
Es wunderte mich, daß ihm, nun schon über dreißig Jahre nicht mehr in den Niederlanden, dieses Wort noch geläufig war. Außerdem ärgerte es mich. Was gab ihm, diesem australischen Grobian, diesem Antipoden ohne Tischmanieren, das Recht, mich »Sohntje« zu nennen?
»So, Sohntje...«, sagte er nochmals, während er das Glas in seiner Pranke mit den schwarzbehaarten Fingern drehte, »so ziemlich das einzige, was ich von dir weiß, ist, daß du weltberühmt geworden bist, weil du eine Arie von Mozart bearbeitet hast. Wohin man auch kommt, überall hört man diese grauenhafte Bearbeitung!«
»Dad, please...«, sagte Joanna.
»Halte du dich da raus«, fuhr er sie an. »Schon mindestens zwölf Jahre lang oder vielleicht sogar noch länger ärgere ich mich schwarz über diese Bearbeitung. Jedesmal wenn ich diese Mozart-Vergewaltigung wieder höre, denke ich: Das ist, Gott sei's geklagt, das Werk meines Schwiegersohns. Daher will ich, wo ich dich nun endlich einmal sehe, von dir selber wissen, ob du dich, was ich hoffe, zu Tode schämst, daß du...«
»Dad, please...«, sagte Joanna.
» Es ist meine Schuld«, sagte Hester, »er hat die Bearbeitung für mich gemacht. Mir fehlte eine Nummer für einen Auftritt, da habe ich Alexander gefragt, ob er noch schnell etwas für mich komponieren oder arrangieren könne, und er sagte: ›Ich habe neulich eine völlig unbekannte, aber wundervolle Mozart-Arie gehört. Die könnte ich für dich bearbeiten.‹«
»Ja«, sagte ich, »so war es. Ich habe diese Bearbeitung an einem Samstagnachmittag gemacht. Sie war nur für einen einzigen Auftritt gedacht. Ich konnte doch nicht wissen, daß sie solchen Anklang finden würde.«
»Ein so hinreißendes Stückchen Mozart«, sagte mein Schwiegervater, »und was hast du daraus gemacht? Einen Popsong! Einen banalen Popschlager, einen Walkmantiger... mein eigener Schwiegersohn... man stelle sich das vor. Und du bist auch noch steinreich damit geworden! Über dem Grab Mozarts hat mein eigener Schwiegersohn sich die Taschen gefüllt. Zum Kotzen ist das.«
»Dad«, sagte Joanna, »please, stop it.«
»Hör auf«, sagte er, »laß mich, endlich werde ich das los. Seit Jahren werde ich wild, wenn ich diesen Popschlager höre. Jetzt sitze ich diesem Stümper gegenüber, der das auf dem Gewissen hat, und nun soll er mir's büßen.«
Er blies auf einer unsichtbaren Oboe, stieß rauhe Töne aus. Es war, als versuchte er, einen Kieselstein auszuspucken.
So ironisch wie möglich sagte ich: »Sie sprechen noch verblüffend gut Niederländisch. Obwohl Sie ein halbes Menschenleben woanders verbracht haben. Sie sind ein Sprachgenie!«
»Das mit den Sprachen lassen wir mal beiseite«, sagte er grimmig.
Die Suppenteller wurden abgeräumt. Joanna und Hester stellten große flache Teller auf den Tisch. Dann trugen sie Wolfsfisch in Aluminiumfolie, Kartöffelchen, Prinzeßbohnen und zarte Möhren auf. Während ich Wein nachschenkte, gaben die Gäste einander in Halbsätzen - »Gibst du mir bitte...«, und »Kannst du mir vielleicht...« - die Schüsseln mit Kartoffeln und Bohnen und den leuchtend orangefarbenen Möhrchen weiter.
Als wir uns alle endlich bedient hatten und als jeder, um sich die Finger nicht zu verbrennen, seine Aluminiumfolie vorsichtig auseinanderfaltete, schnaubte mein Schwiegervater noch immer entrüstet. Offensichtlich hatte er feuerfeste Hände; er faltete die Folie rasend schnell auseinander. Von dort, wo er saß, erklang ein wildes Klappern und Rasseln, während ich selbst, wütend auf ihn, noch schneller aß, als man es normalerweise von mir kennt. Dann wurde diese unselige Dodekaphonie so abrupt beendet, als seien die Schlußtakte weggelassen worden. Und ich, der ich in meinem ganzen Leben noch nie erlebt hatte, daß jemand schneller aß als ich, starrte staunend auf seinen leeren und meinen noch beinahe halbvollen Teller. Während ich schaute und schaute, wuchs mein Staunen. Das war unerhört. Das war nicht möglich. Bisher war ich, in welcher Gesellschaft auch immer, der bei weitem schnellste Esser gewesen. Darauf war ich heimlich sogar immer enorm stolz gewesen. Jetzt gab es einen, der
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