Das Wüten der ganzen Welt
wird!« Übrigens sprach er das Wort »Markt« wie »Mart« aus.
Auch meine Mutter pries meine Geschwindigkeit, »Der verkauft sich nie unter Martwert, bei dem geht alles mit der heißen Nadel!« sagte sie zu juffrouw Varekamp. Von diesem »Martwert« und dieser merkwürdigen »heißen Nadel« war jedoch nicht die Rede, wenn sie mir auftrug, Kartoffeln zu schälen. Dann sagte sie: »Wenn du's dir endlich mal aus dem Kopf schlagen würdest, holterdiepolter zu schälen. Du schälst viel zu dick! Denk dran: Sie hängen keinen, sie hätten ihn denn.«
Und doch habe ich, wie hastig ich auch veranlagt sein mochte, an zahlreichen Sommernachmittagen, mutterseelenallein und von keinem Menschen gestört, am stillen Wasser gesessen. Mit dem kleinen Boot in Re ichweite und gleich neben der Trauerweide, deren aus dem Wasser ragende Wurzeln mir einen Sitzplatz boten. Verzückt schaute ich, um mit Gezelle zu sprechen, dem sich kräuselnden Wasser nach und fischte mit meinem Köder Rotfedern, Brachse und Karpfen, es sei denn, daß ich rote Regenwürmer hatte ausgraben können. Dann versuchte ich, Aale zu fangen. Meistens aber bissen die ungenießbaren Barsche in meine sich windende Würmer, und ich verwickelte mich in einen zähen Kampf mit diesem eigenartigen Fisch und seinen orangeroten Bauchflossen. Wie sehr er sich auch sträubte, ich wollte ihn ans Ufer bekommen. Hatte ich ihn einmal an Land, dann löste ich vorsichtig den Haken und warf den Fisch wieder ins Wasser. Nichts schien nutzloser zu sein, nichts befriedigte mehr. Manchmal, wenn das Dieselwerk pumpte und das Wasser strömte und Gewitter drohte und die ersten Wassertropfen Kringel aufs Wasser zauberten, mußte ich daran denken, was Gezelle geschrieben hatte: »Wenn die Seele lauscht, spricht alles, was lebt, eine Sprache.« An einem solchen Nachmittag fing man Aale.
An einem dieser sommerlichen Samstage im Jahr 1955, »als das zarteste Geflüster schon Sprache gab und Zeichen«, strömte das Wasser. Es strömte sogar so schnell, daß die Wellen in der Strömung laut und freundlich plätscherten und man Strudel sah. Das braune Boot zerrte an der Vertäuung. Ich fing zwei Barsche, die ich zurückwarf, ich fing einen Gründling, den ich wütend zurückschmiß, und schon biß wieder einer an. Sofort wußte ich fast sicher: ein Aal. Ein Aal schwimmt nicht weg wie ein Barsch, ein Aal gräbt sich ein. Du siehst es an deinem Schwimmer. Der verschwindet ganz langsam unter Wasser. Zuerst merkst du kaum, daß einer angebissen hat. Du fühlst nichts, kein Zerren und kein Ziehen; dein Schwimmer scheint sich von selbst im Wasser aufzulösen. Am besten ist es dann, die Angel irgendwo sicher zu befestigen und zu versuchen, den Aal mit der Hand zu packen. Ziehst du, dann gehst du das Risiko ein, daß dir die Schnur reißt. Leider entdeckte ich an jenem Nachmittag in dem wunderbaren durchsichtigen Sommersonnenlicht nichts, woran ich meine Angel befestigen konnte. Vorsichtig ziehen, noch einmal vorsichtig ziehen, das schien die einzige Möglichkeit zu sein. Da saß ich nun in diesem Sommersonnenlicht, und die Blätter an den Bäumen tuschelten miteinander, und die Strudel strömten vorbei, und über dem Wasser flogen Libellen, und mir zu Füßen tanzte »das wiegende, wirbelnde Wassergewinde«, und die ganze Zeit über zog ich, und in der Tiefe zog der Aal ebenfalls.
Da hörte ich den Warnruf der Amseln. Eine Katze? Eine Eule? Oder Gott?
Die Brombeersträucher raschelten, die Zaunwinden tanzten. Zwischen Brennesseln, Flieder und Zaunwinde kam jemand näher. Ein juut stapfte durch die Brennesseln. Erst als er ganz nahe bei mir aus den sich wiegenden Zaunwinden auftauchte, sah ich, daß es Vroombout war. Mein Herz klopfte. Durfte ich überhaupt hier angeln? War die »Gärtnerei« vielleicht verbotenes Gelände? Würde er mich fortjagen, vielleicht sogar anzeigen? »Beißen sie einigermaßen?« rief er. »Ich glaube, ich habe einen Aal«, rief ich zurück, »aber ich kann ihn nicht rauskriegen.« »Ich komm und helf dir ein bißchen«, rief er. Mit einer einzigen Handbewegung stieß er einen Fliederbusch beiseite, wich einem Brombeerstrauch aus und stand neben mir. »Gute Stelle hier?« fragte er. »Es geht«, sagte ich.
Er griff nach meiner Angel. Wir zogen gemeinsam. Paarweise stiegen Luftblasen auf. Der Aal blieb, wo er war.
»So geht das nicht!« sagte er.
Er zog seine Uniformjacke aus. Er krempelte den Ärmel seines Diensthemds hoch. Langsam ließ er sich der Länge nach am
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