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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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passiert war, sondern vor allem, wo das Kind geblieben war. Auch das bleibt ein Rätsel. Ruth war allein, als sie in Westerbork ankam, das ist das einzige, was wir wissen. Wo ist dieses Kind geblieben?«
    »War es ein Sohn oder eine Tochter?« fragte ich.
    »Auch das wissen wir nicht«, sagte er.
    Eine Weile blickte er auf das plätschernde Wasser. Er sagte: »Simon denkt, daß dieses kinderlose Ehepaar Ruth nur ins Haus genommen hat, um sie gleich nach der Geburt loszuwerden, sei es nun mit Vroombouts Hilfe oder ohne, so daß sie das Kind behalten konnten. Simon meint dies, weil er selbst weiß, wie es ist, kinderlos zu sein, wie es ist, sich heftig nach einem Kind zu sehnen, keine Kinder zu haben... Er sagt immer, daß Ehepaare, die sich jahrelang nach einem Kind gesehnt haben, zu allem fähig sind, daß sie über Leichen gehen, um an ein Kind zu kommen. Und Vroombout muß dabei geholfen haben. Normalerweise wäre dieses Ehepaar nämlich auch aufgegriffen worden, dieser Mann und die Frau hatten sich strafbar gemacht, sie hatten jemanden bei sich untertauchen lassen. Wenn Vroombout aber so tat, als hätte er Ruth auf der Straße aufgegriffen, brauchte sonst keiner zu wissen, daß dieses Ehepaar... ach, es ist eine Theorie von Simon... ich... ach, was hilft es jetzt noch!«
    Er schaute in die Luft, strich sich mit den starkbehaarten Händen über das Gesicht, zupfte an seinem Bart, sagte: »Vroombout schrieb uns, Alice, den Edersheims und mir, jedes Jahr einen Brief, um uns daran zu erinnern, daß wir noch Geld...«
    »Ja, das weiß ich«, sagte ich.
    »Simon schlug vor, wir sollten so tun, als wollten wir eine Vereinbarung mit ihm treffen. Wir verabredeten uns. Wir wollten ihn dann unter Druck setzen. Eventuell würden wir ihm im Gegenzug für die Information, die wir haben wollten, Geld anbieten. Es war ein guter Plan, Simon hatte schon immer gute Ideen. Aber eigentlich brauchte ich nicht mehr zu wissen, wo das Kind geblieben war, ich wollte am liebsten unter alles einen Strich machen und dann das Land verlassen und nie wieder zurückkommen. Ich hatte an jenem Samstagnachmittag tatsächlich den mit Vroombouts Bruder vereinbarten Betrag bei mir, ich wollte ihn Vroombout geben, ich wollte ihm den schlichtweg vor die Füße werfen, auch um ihm feurige Kohlen... um ihn zu beschämen, um alles ein für allemal zu erledigen; in gewisser Weise habe ich Simon, Alice und die Edersheims verraten. Wir hatten uns mit Vroombout bei ihm zu Hause verabredet, aber dann kamen wir alle da vorbei, ich sah ihn in das Lagerhaus gehen und bin dann auch hineingegangen, dachte damals: Ich werde es sofort erledigen, das erspart uns viel Ärger. Simon und die Edersheims und Alice wußten nicht, was ich vorhatte, sie waren zu Tode erschrocken, sie dachten, daß ich... und ich habe es dabei belassen. Ja, sie waren erschrocken, aber auch erleichtert, vor allem Alice war erleichtert. Sie machte sich Sorgen um ihren Sohn. Der hatte Kontakt zu Vroombout... nun ja, das spielt jetzt keine Rolle mehr. Erschrocken oder nicht... sie haben mir danach phantastisch geholfen. Sie haben der Polizei gegenüber nichts verraten. Während ich doch ihren Plan... ach, es hätte doch nichts gebracht, dieser Mann... dieser Vroombout... er hat Ruth... aus Rache? Ende '44! Hätte er sie damals nicht... sie hätte es überlebt. Wenn es jemand verdient hat, erschossen zu werden, dann allerdings er, Gott wird's wissen, daß ich ihn nur allzu gern wie einen tollen Hund abgeknallt hätte, wenn ich den Mut dazu gehabt hätte, aber den hatte ich nicht, nein, den hatte ich nicht, ich hatte nur den Mut, ihn mit dem vollen Betrag zu demütigen, den er jedes Jahr wieder brieflich einforderte.«
    »Den Mut hatten Sie nicht?« sagte ich, starr vor Staunen. »Den Mut hatten Sie nicht? Wer hat ihn dann...«
    »Sohntje, du glaubst mir wahrscheinlich nicht, und mir kann's eigentlich auch völlig egal sein, aber das kann ich dir versichern: Dieser Schuß wurde nicht von mir abgegeben, dieser Schuß wurde von irgendwo aus dem Haus abgegeben. Gab es dort irgendeinen schmalen Gang vom Lagerhaus zum Wohnhaus?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann wurde der Schuß in dem Gang abgegeben.«
    »In dem Gang? Von dem Gang aus? Aber von wem denn? Von meinem Vater? Aber der war nicht zu Hause, der machte gerade Hausbesuche.«
    »Ich habe nur vage zwei Hände ge sehen, die irgendso eine uralte, rostige Schrottpistole umklammerten, irgendwo schräg hinter dir...«
    »Dann müßte meine Mutter... ach

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