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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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was... nein, das kann nicht sein, das kann absolut nicht sein, meine Mutter, hör mal zu. Mit einem einzigen Schuß sollte sie ihn... nein.«
    »Derjenige, der den Schuß abgab, stand unmittelbar hinter Vroombout, er oder sie konnte ihn... ach, Sohntje, was macht das schon aus, ich wußte, daß du mir nicht glauben würdest, wie solltest du auch, wo du so viele Jahre lang geglaubt hast, daß ich es getan hätte. Aber ich habe meinerseits immer gedacht, daß du bei dem Komplott mitgemacht hast, daß du, wie verabredet, knallhart weitergespielt hast, um den Lärm des Schusses zu übertönen. Ein normaler Mensch spielt doch nicht weiter, wenn direkt neben ihm ein Schuß abgefeuert wird? Aber du spieltest nicht nur fortissimo weiter, du glaubst auch noch, daß ich den Schuß abgab. Ach, du, Sohntje, dann laß es doch dabei. Ob ich es nun getan habe oder jemand anderes, was macht es schon aus? Bram und Simon und Anna und Alice haben auch immer geglaubt, daß ich der Täter sei, und ich habe sie immer in dem Glauben gelassen, und ich will das auch so lassen, deshalb habe ich auch vorgeschlagen, mit dir allein ein Stück zu gehen. Derjenige, der Vroombout umgebracht hat, muß dafür mindestens ebenso gute Gründe gehabt haben wie ich, und daher paßte es, fand ich, wunderbar, daß es schien, als sei ich auf einmal der Tatverdächtige. Nicht etwa, daß ich damals sofort begriffen hätte, daß man mich für den Mörder halten würde. Als der Schuß abgefeuert wurde, hatte ich nur einen Gedanken: nichts wie weg. Ich muß das Schiff erreichen. Morgen muß ich in England ein Konzert dirigieren. Ich will nicht als Zeuge vernommen werden, bitte keine Verzögerung. Zu den andern habe ich nur gesagt: Ich habe es abgewickelt, laßt uns so schnell wie möglich fortgehen. Erst viel später erfuhr ich, daß sie mich aufgrund deiner Aussage für den Mörder hielten. Fand ich phantastisch. Solange sie mich verdächtigten, würden sie den wirklichen Mörder nicht verdächtigen, und er würde ungestraft davonkommen... er hat schließlich auch Ruth gerächt... Ach, Ruth, sie war so schön, so unglaublich schön, sie hatte eine so wunderbare, dunkle, volle Stimme. Immer sang sie, meine Ruth, es ist alles schon so lange her, und es fällt mir so schwer, sie mir vorzustellen. Es gibt zwar Fotos, aber die helfen nicht, gut, ich habe wieder geheiratet, ich habe zwei Töchter, aber es war nichts, ich war nicht mehr richtig dabei, es war alles verkehrt.«
    Lange schauten wir zu den Wolken, zum Himmel und aufs Wasser und lauschten dem Abendwind, der leise die Blätter der Pappeln rascheln ließ. Dann sagte er: »Wirklich, ich habe all die Jahre gedacht, daß du bei dem Komplott mitgemacht hast, daß man dir gesagt hatte, du müßtest so laut wie möglich weiterspielen, wenn der Schuß fallen würde, einmal um das Geräusch des Schusses zu übertönen, zum anderen um dem Schützen die Gelegenheit zu geben, die Mordwaffe zu verstecken und selber zu verschwinden. Ich war so überrascht, als du so ruhig weiterspieltest, daß ich auf dich zeigte... das war alles, und du denkst die ganze Zeit, daß ich dich bedrohte, du denkst die ganze Zeit, daß mein Zeigefinger der Lauf einer Pistole war, ach, Sohntje, doch...«
    Er schüttelte eine Weile den Kopf. Das Wasser plätscherte friedlich. Es war ein wunderschöner Sommerabend. Was sich an einem naßkalten Samstagnachmittag vor langer Zeit abgespielt hatte, schien so weit entfernt, so unwirklich, so unmöglich, und obgleich ich mir immer noch schwer vorstellen konnte, daß mein Schwiegervater nicht der Mörder gewesen war, vermochte ich jetzt doch zu akzeptieren, daß alles ganz anders gewesen sein konnte, als ich es mir in all den Jahren vorgestellt hatte. Doch konnte ich es kaum glauben, daß mein Vater oder meine Mutter in dem Gang einen Schuß abgegeben hatte, geschweige denn, daß jemand anderer dort gestanden hatte. Und erst jetzt wurde die Geschichte mit den gewechselten Kleidern merkwürdig. Wenn Oberstein nicht der Mörder war - warum hatte er sich dann bei Simon zu Hause umgezogen? Und warum hatte er sich so ängstlich den Schal vor den Mund gehalten, wenn er Vroombout nur mit viel Geld fertigmachen wollte?
    Schweigend saßen wir nebeneinander, der Abendwind hatte sich gelegt. Ich hatte wohl nach dem Schal und nach den Kleidern fragen wollen, fand es aber unpassend nach seinem entsetzlichen Bericht über seine Frau und ihrer beider Kind. Nach einer Weile fragte ich, eigentlich nur, weil ich die

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