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Das Wüten der ganzen Welt

Das Wüten der ganzen Welt

Titel: Das Wüten der ganzen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maarten 't Hart
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Wenn ich unterwegs war, hatte ich ein Ziel. Galt das für ihn auch?
    Es irritierte mich, daß sein Herumwandern mich so beschäftigte und mich darauf aufmerksam machte, auch ich sei - so mußte er wohl denken - immer auf der Straße zu finden. Stets hielt ich mir selber vor: Weil er sich immer auf der Straße herumtreibt, kann es nicht ausbleiben, daß ich, wo ich doch nur ab und an unterwegs bin, ihm über den Weg laufe. Ich wußte, daß ich einen Denkfehler machte. Und doch hielt ich hartnäckig an der Behauptung fest, daß er ein Herumtreiber und ich ein Stubenhocker war.
    Dann geschah etwas, wodurch die wenigen Worte - »Wenn du bei mir spielen willst - du bist willkommen« - mir im Kopf herumgeisterten. Es ist nun über dreißig Jahre her, aber ich werde meinem Vater nie verzeihen. Leider kann ich es ihm auch nicht mehr verzeihen. Er ist, wie er selbst so vergnügt über andere verkündete, von dem großen Lumpensammler dahingerafft worden.
    Folgendes geschah: Vor etwas mehr als dreißig Jahren kam ich von der Schule nach Hause. Als ich mein Fahrrad hinter die beiden Särge stellte, sah ich, daß mein Vater Besuch von einem Schrotthändler hatte. Es war ein untersetzter, gemütlicher Mann; zwischen Stapeln von Lumpen und altem Papier schritt er hinter seinem gewaltigen Bauch her.
    »Du hast da ein sehr schönes Klavier stehen«, sagte er, »wie bist du da drangekommen, und was machst du damit?«
    »Stand schon da, als ich den Handel hier übernahm«, sagte mein Vater, »und mein Sohn kann schon ein paar hübsche Liedchen darauf runterspielen.«
    Allein das Wort »Liedchen« habe ich meinem Vater nie verzeihen können. Der Schrotthändler sagte zu mir: »So? Du spielst? Kannst du denn schon ›Fuchs, du hast die Gans gestohlen‹?«
    Als ich nicht antwortete und ihn nur giftig ansah, rief er munter: »Nun, nun, nicht so schnell beleidigt, ich kann doch nicht wissen, daß du schon weiter bist, daß du schon zwei kleine Gänse spielst.«
    »Ja, das tut er bestimmt, er spielt schon eine ganze Gänseherde und einen Gänserich dazu«, sagte mein Vater, »dieser mein Sohn, das ist ein Musikbolzen, wirklich wahr, das ist ein richtiger Musikbolzen.«
    »Dann willst du das Klavier sicher nicht weggeben?«
    »Willst du es etwa übernehmen?« »Nun, das nicht, aber ich wüßte einen Kunden. Das hier ist ein Blüthner, die Marke ist nicht zu verachten, damit kannst du gutes Geld machen, es ist eine Sünde, so ein Ding hier einfach im Lagerhaus verrotten zu lassen.«
    »Ja, das hab ich auch schon oft gedacht«, sagte mein Vater, »ja aber, mein Sohn...«
    »Versteh ich«, sagte der Schrotthändler, »also ist er nicht zu verkaufen?«
    »Nein, eigentlich nicht«, sagte mein Vater, »aber wenn da so 'n Verrückter ist, der 'ne Stange Geld dafür übrig hat, dann...«
    »Nein«, sagte ich, »nein, das dürfen Sie nicht tun, das geht nicht, worauf soll ich dann üben?«
    »Womit du recht hast«, sagte mein Vater, »Cornelis, du hörst, dieses Klavier ist nicht zu verkaufen.«
    So schien die Gefahr abgewendet, und ich konnte beruhigt durch den kleinen Gang im Haus verschwinden. Drei Tage später aber stapfte der Schrotthändler Cornelis schon wieder hinter seinem Bauch her ins Lagerhaus, diesmal in Gesellschaft eines Herrn mit schwarzem Mantel und weißem Schal. Dieser Herr mit dem weißen Schal machte für den Blüthner ein Angebot, daß es meinen Vater schwindelte, und in der Woche darauf wurde der Blüthner - mein Blüthner -, während ich in der Schule war und nichts ahnte, aus dem Lagerhaus getragen.
    Beim Abendbrot sagte mein Vater: »Ich konnte es mir nicht entgehen lassen, wirklich, ich konnte es mir nicht entgehen lassen, ich hätte nie gedacht, daß ein so altes Klavier soviel wert sein könnte. Nun kann ich endlich an den Umbau denken, auf den ich all die Jahre habe sparen wollen.«
    Er blickte mich kurz an, und meine Mutter sagte: »Das geht ihm aber sehr ans Herz«, und mein Vater sagte: »Ja, das versteh ich, es ist ein harter Schlag für ihn, aber ich bin heute nachmittag in der Damstraat vorbeigegangen, und Klaas hat dort zwischen all seinen Harmoniums ein altes Klavier stehen, das ich für hundert Gulden von ihm kaufen kann, mit Stimmgeräten und allem Drum und Dran, und ob du's glaubst oder nicht, während ich da mit Klaas noch am Reden war, kommt zufällig Küster Bergwerff rein, und ich sage zu ihm: ›Meinst du, daß mein Sohn ab und zu mal auf der Orgel der Zuiderkerk üben könnte?‹ Und er sagt: ›Nun,

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