Das Wüten der ganzen Welt
bildhübsches Mädchen mit weißer Pudelmütze schwebte an uns vorbei. Minderhout hielt einen Augenblick inne, blickte ihr nach, schüttelte kurz den Kopf, besann sich und sagte: »Na, na, das war mir eine... Wenn ich solche Mäuse auf dem Dachboden hätte, schaffte ich die Katze ab.«
Er pfiff leise und verkehrt eine Melodie vor sich hin, sagte dann: »Was für einen Hunger man vom Schlittschuhlaufen bekommt. Wenn jemals das Sprichwort gilt: ›Hunger ist der beste Koch‹, dann auf dem Eis. Darf ich dich vielleicht zu einem Teller Erbsensuppe einladen?«
»Ja, gern«, murmelte ich.
Wir überquerten, den Figurenläufern ausweichend, die schwarze Eisfläche, banden die Schlittschuhe ab und kletterten ans Ufer. Im Cafe Bommeer war es noch ziemlich leer. Erschöpft ließ ich mich auf einen Stuhl fallen. Er sagte: »Ach, sieh einer an, sind eure Mühen und Plagen zahlreich und gewaltig?«
»Ich hab lange nicht mehr auf Schlittschuhen gestanden«, sagte ich entschuldigend.
»Und doch verlernst du es nicht, auch wenn du viele Jahre nicht läufst - merkwürdig eigentlich, findest du nicht? Wenn du eine Weile nicht Klavier spielst, geht es mit deiner Technik rasend schnell bergab, aber manchmal vergehen zehn Jahre zwischen zwei richtigen Frostperioden mit Schlittschuh-Eis, und doch braucht man sich dann nur auf seine Holzschlittschuhe oder auf moderne Schlittschuhe zu stellen, und man kann es wieder. Ein merkwürdiges Gefühl: Als wären die dazwischenliegenden zehn Jahre auf einen Schlag wie weggewischt. Gleichzeitig ist es ein Erlebnis, daß du noch immer etwas beherrschst, was du so lange nicht mehr gemacht hast, und du meinst, dies könne nicht einmal der Tod auslöschen. Du hast auf einmal zehn Jahre verloren, aber das macht nichts, denn du bist offenbar unsterblich.«
»Schwimmen und Radfahren verlernt man auch nicht, wie es scheint.«
»Kann sein«, sagte er, »aber verstreichen jemals zehn Jahre zwischen zwei Radtouren?«
Er stand auf, ging an die Bar, bestellte zwei Teller Erbsensuppe und kam mit zwei Tassen Kaffee zurück.
»So, hier erst mal etwas Warmes. Na, bin ich froh, daß es mir gelungen ist, dich endlich mal zum Sprechen zu bringen. Es gibt Menschen, die man, wenn man sie auf der Straße sieht, lieber nicht grüßt, weil man Angst hat, daß sie stehenbleiben, und dann muß man ein Schwätzchen mit ihnen anfangen, und zwar mindestens für eine Stunde. Aber dich habe ich monatelang bedenkenlos grüßen können. Bei jemandem, der so alt ist wie ich, hätte ich im vergangenen Jahr gesagt: Ich hoffe, daß ich ihn irgendwann zu einer Zigarre verführen kann, um so das eine oder andere mit ihm zu besprechen, aber bei dir kann ich, es sei denn, du rauchst schon Zigarren, nur sagen: Ich hoffe, dich bald einmal bei mir am Flügel zu sehen, um mit dir zu reden. Heute ist Mittwoch, du hast also schulfrei, wie ist es mit dem Rest der Woche? Könntest du vielleicht Freitag nachmittag kommen? Meine Frau ist dann weg, ich bin unten in der Apotheke beschäftigt, und du kannst dich von mir aus den ganzen Nachmittag mit dem Bösendorfer vergnügen. Und am Ende vom Nachmittag könnten wir beide uns ein Fläschchen Wein teilen. Würde dir das vielleicht gefallen?«
»Äh... ja... äh, ich... ich kann am Freitag«, stotterte ich. »Gut so, das ist also hiermit verabredet.«
Bösendorfer
Am Freitag taute es schon wieder. Ein Südweststurm jagte graue Wolken über den Himmel. Regenschwaden peitschten über den Markt; durchnäßt betrat ich die Apotheke.
»Sie bringen ein Rezept?« fragte das Mädchen, das hinter dem breiten Tresen stand.
»Nein, ich möchte zu Mijnheer Minderhout«, sagte ich.
»Gut so«, hörte ich ihn rufen, »doch gekommen, trotz all der meteorologischen Widrigkeiten. Komm durch, ich bin hier hinten.«
Das Mädchen begleitete mich zu einer kleinen Küche. Dort saß er an einer goldfarbenen Waage. Er sagte: »Ach, nun ist die Eiszeit schon wieder vorbei! Wie schade, denn Schlittschuhlaufen verbrüdert, und Eis schafft neue Freundschaften! Hätten wir uns nicht dort auf dem Bommeer getroffen, dann wären wir nie über ein beiläufiges Schwätzchen auf der Straße hinausgekommen. Gehen wir nach oben.«
Flink eilte er die Treppe hinauf. Er stieß eine Tür auf, zeigte auf einen Flügel, der schräg vor dem Fenster stand.
»Bitte, laß dich nicht stören«, sagte er, »wenn du nichts dagegen hast, gehe ich gleich wieder runter. Am Freitagnachmittag habe ich immer eine Hilfe mit einer sicheren
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