Das Wüten der ganzen Welt
wenn dein Sohn ab und zu bei einem Gottesdienst einspringen kann, läßt sich das wohl regeln‹, also, das hab ich doch gut hingekriegt.«
»Ja, aber ich bin doch kein Kirchenorganist«, sagte ich, »ich weiß überhaupt nicht, wie man diese Pedale...«
»Mit den Füßen«, sagte mein Vater, »das machst du mit deinen Füßen.«
»Ja, das weiß ich auch schon«, sagte ich heftig, »aber...«
»Du bist so verflixt geschickt mit deinen Fingern«, sagte mein Vater, »du wirst sehen: Wenn du da hinter der Orgel sitzt, gehen die Füße von selber mit, und es ist doch eigentlich auch vie l schöner, so eine große Orgel mit all den Pfeifen als solch ein Klimperkasten.«
So geschah es, daß mein Blüthner durch ein uraltes, total verstimmtes, fast nicht spielbares, grauweiß angemaltes Klavier ersetzt wurde, bei dem schon mehrere Saiten weggesackt waren, so daß sie keinen Ton mehr von sich gaben. Und die Tasten, die noch gedrückt werden konnten, machten ein so erbärmlich jammerndes Geräusch, daß am Montagmorgen die mokkel und hittepetitjes, die in aller Frühe auf ihr heißes Wasser warteten, abfällig von Katzenmusik redeten.
Natürlich konnte ich auf der Orgel der Zuiderkerk nicht die Studien von Moscheles üben. Dennoch war es eine Offenbarung für mich, auf einer Kirchenorgel zu spielen. Und wie die beiden Teile des Wohltemperierten Klaviers von Bach darauf klangen! Als wären sie dafür geschrieben worden!
Auf dem Weg zur Kirche begegnete ich fast immer Minderhout. Stets grüßte er mich liebenswürdig, und wenn er, was manchmal der Fall war, einen schwarzen Schlapphut trug, lüpfte er schwungvoll seine Kopfbedeckung. Er hat einen Flügel, summte es mir durch den Kopf, ich könnte bei ihm spielen, wenn ich wollte. Aber ich war zu schüchtern, ihn deswegen anzusprechen. Außerdem gelang es mir, das »Mistviech«, wie ich das grauweiße Klavier nannte, etwas »aufzumöbeln« - um den Jargon der President Steynstraat zu gebrauchen. Einen anderen Ausdruck wüßte ich nicht. »Aufgemöbelt« gibt genau das Resultat meiner Bemühungen mit Stimmgabel und Stimmschlüssel wieder. Damit stand mir ein Instrument zur Verfügung, auf dem nicht wirklich gespielt, wohl aber geübt werden konnte.
So quälte ich mich beinahe ein Jahr lang ab. Dann war es wieder Winter, es fror, und am Ufer der Boone band ich mir meine Schlittschuhe unter. Ich lief gegen den harten Nordost an zur Blauwe Brug, und dort mußte ich ein Stück mit angeschnallten Schlittschuhen über Land laufen, bevor ich mich aufs neue mit dem Nordost messen konnte. Weiter oben, dort wo die Boone sich zu einem Wassertümpel verbreiterte, der im Volksmund den großspurigen Namen Bommeer bekommen hatte, wurde eifrig Schlittschuh gelaufen. Versierte Eiskunstläufer strichen mühelos über das dunkle Eis, und einer dieser Eiskunstläufer war Minderhout.
Graziös und, wie es schien, ganz in sich versunken drehte er Kreise, Ellipsen und sogar schwierige Figuren. Und eine solche unvorhersehbare Figur brachte ihn mit verblüffender Exaktheit genau dorthin, wo ich mich ausruhte. Er glitt neben mir nieder und sagte: »Wenn ich Schlittschuh laufe, denke ich immer daran, wie es hier ganz früher gewesen sein muß. Seen, Tümpel, Bäche, Schilf und Binsen, kurz: Moore und entfernte Vorfahren, die nirgendshin konnten. Aber wenn es fror, banden sie sich geschliffene Knochen unter, und die ganze Welt lag offen vor ihnen. Wie gewaltig muß das gewesen sein. Wenn du Schlittschuh läufst, ist es, als würdest du wieder solch ein ans Moor geketteter Vorfahr, der auf einmal überallhin kann.« Er stand wieder auf und sagte: »Mein Vater lief im Dunkeln Schlittschuh. Einmal lief ein Mann neben ihm. Der fragte ihn: ›Wissen Sie, ob man im Himmel Schlittschuh läuft? In der Bibel ist nichts über Schnee und Eis zu finden, und Schlittschuh läuft man darin schon gar nicht. Es darf doch nicht wahr sein, daß man im Himmel nicht Schlittschuh laufen kann?‹ Mein Vater sagte: ›Darüber habe ich nie nachgedacht, aber nun, wo Sie es sagen... es steht in der Offenbarung: ›Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, und das Meer war nicht mehr.‹ ›Wo kein Meer ist, gibt es kein Wasser, also auch kein Eis.‹ Worauf der Mann sagte: ›Und dann wollen sie uns noch weismachen, daß es im Himmel so schön sein soll. Man kann dort nicht einmal Schlittschuh laufen! Und wenn dort kein Meer ist... kein Meer, kein Strand, keine Häfen, keine Kutter... allmächtiger Gott!‹«
Ein
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