Das Wüten der ganzen Welt
glücklicherweise schon wieder besser, aber sie können heute abend natürlich nicht musizieren.«
»Schade«, sagte ich, »na ja, dann fahr ich mal wieder zurück, dann geh ich nach Hause.«
»Warum? Komm, trink noch eine Tasse Kaffee!«
Als wir uns im Wohnzimmer gegenübersaßen, fragte sie: »Wo ist deine Freundin?«
»Das ist gar nicht meine Freundin«, sagte ich empört, »ich mag überhaupt keine Mädchen, die sich so wahnsinnig auftakeln.«
»Aber du bist immer mit ihr zusammen gekommen, meine Mutter und ich dachten wirklich... na ja, wir fanden es schon merkwürdig, daß du nie irgendwie nett zu ihr warst, aber wir dachten doch, sie sei deine Freundin.«
»Sie wartet hier immer schon, um mit mir zusammen reinzugehen«, sagte ich.
»Aha, sie ist hinter dir her? Deshalb sorgt sie also immer dafür, daß sie mit dir zusammen reinkommt? Wie raffiniert!«
»Wetten, daß sie gleich kommt?« sagte ich. »Und dann sieht sie mein Fahrrad und weiß, daß ich schon hier bin, und dann muß sie selber klingeln.«
»Findest du es denn nicht gut, daß sie mit dabei ist?«
»Nein«, sagte ich.
»Gut, wenn sie gleich klingelt, dann sag ich ihr, daß heute abend nicht gespielt wird, und dann laß ich sie nicht rein.«
»Oh, das wäre phantastisch!«
»Jetzt, wo ich weiß, daß sie nicht deine Freundin ist, finde ich dich sofort ein bißchen netter«, sagte Hester.
»Wie sie aussieht«, sagte ich, »eine dicke Schicht Kleister, immer diese idiotischen Ohrringe, Pfennigabsätze und Nägel, mit denen man ein Loch in einen Autoreifen stechen könnte.«
»Na ja, aber doch mutig, sich so zurechtzumachen, ich wollte, daß ich mir das zutraute. Nicht daß ich so aussehen möchte, aber ich hätte schon Lust, es einmal zu probieren!«
»Ach, Lust und Last unterscheiden sich nur durch einen einzigen Buchstaben«, sagte ich lässig.
Es klingelte. Hester sprang auf, lief zur Diele, öffnete die Haustür. Sie redete ziemlich lange. Leider konnte ich nicht verstehen, was gesprochen wurde. Mit hochroten Wangen kehrte Hester zurück.
»Sie wollte unbedingt reinkommen«, sagte sie, »sie hat dein Fahrrad gesehen, und daher wollte sie reinkommen. Ich sagte: ›Das ist nicht das Fahrrad von Alexander, das ist das Fahrrad von meinem Bruder‹, aber sie glaubte mir nicht. Sie hat vor Wut getobt, als sie wegfuhr.«
»Ob ich sie nun endlich los bin?«
»Bestimmt nicht, sie ist bestimmt eine, die sich besonders anstrengt, wenn sie Widerstand spürt. Nun ja, jetzt ist sie weg, und wir können... würdest du... ach nein, das willst du natürlich nicht, du liebst nur Klassik, du fühlst dich sicher sehr erhaben über französische Chansons und amerikanische Schlager.«
»Ach was«, log ich.
»Würdest du mich dann begleiten?«
»Wenn die Begleitung nicht zu schwierig ist«, sagte ich.
»Zu schwierig, hör auf, du spielst ganz s chwierige Stücke einfach so vom Blatt, sagt meine Mutter.«
Sie hatte eine helle, noch kindlich klingende Stimme. Vielleicht würde sie, falls ihre Stimme noch kräftiger wurde, später einmal als Soubrette Karriere machen können. Ich mußte pianissimo spielen, um sie zu hören. Und die Liedchen, die sie sang - die möchte ich noch nicht einmal auf meiner Beerdigung hören. Sie aber sagte: »Es geht phantastisch! Ich habe noch nie so herrlich gesungen, wirklich wahr, du folgst mir genau, und du spielst Gott sei Dank nicht so laut. Erik spielt immer so laut...«
»Erik? Wer ist Erik? Dein Bruder?«
»Nein, Erik ist mein Freund.«
»Oh«, sagte ich.
»Schon seit zwei Jahren«, sagte sie entschuldigend.
Wir blickten uns an. »Schon seit zwei Jahren«, wiederholte ich trocken.
»Erik haut oft daneben«, sagte sie, »du nie.«
»Was singst du mit ihm?«
»Wir versuchen es mit Fauré.«
»Der ist schwer, daher schlägt er oft daneben«, sagte ich leichthin.
Nachdenklich sah sie mich eine Weile an. Dann erschien das schiefe, etwas spöttische Lache n auf ihrem Gesicht. Sie sagte: »Du findest es, glaube ich, nicht so gut, daß ich schon einen Freund habe. Weißt du, ich will es dir ehrlich sagen: Als ich dich sah, am ersten Abend, war ich richtig sauer, daß du eine Freundin hast...«
»Sie ist überhaupt nicht meine Freundin.«
»Nein, weiß ich, weiß ich, aber an dem Abend wußte ich es noch nicht, da dachte ich, daß die Schreckschraube deine Freundin ist, und war richtig sauer... verrückt, es so einfach jemandem zu sagen, ja, ich weiß es auch nicht, du, ich sah dich da sitzen und dachte: He,
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